Der Wahltag ist für mich ein Festtag
Der Leiter des Katholischen Büros Sachsen, Christoph Pötzsch, zur Bundestagswahl 2005
Dresden - Ordinariatsrat Christoph Pötzsch leitet das Katholische Büro Sachsen. Seine Aufgabe ist der Kontakt zur Politik, speziell zur sächsischen Landespolitik. Der Tag des Herrn sprach mit Christoph Pötzsch über die bevorstehenden Bundestagswahlen.
Herr Ordinariatsrat Pötzsch, werden Sie am 18. September wählen gehen?
Selbstverständlich. Ich genieße das Gefühl, wählen gehen zu dürfen. Das ist für mich ein Fest.
Können Sie diejenigen verstehen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht zur Wahl gehen wollen?
Ehrlich gesagt: Ich kann sie nicht verstehen. Ich bin von meinen Erfahrungen in der DDR geprägt. Die so genannten Wahlen in der DDR konnte ich nie als Wahlen anerkennen. Jetzt habe ich die Möglichkeit, eine echte Wahl vorzunehmen. Bereits das ist für mich ein großer Wert – unabhängig davon, für welche Partei ich mich entscheide.
Die DDR-Zeit scheint mancher Ostdeutsche inzwischen vergessen zu haben. Als kann ich doch sowieso nichts machen, sagt sich mancher nach 15 Jahren Demokratie-Erfahrung und bleibt am Wahltag zu Hause.
Wenn 1989 der Einzelne so gedacht hätte, hätte sich nichts verändert. Oder: Wenn der Elektriker Lech Walesa in Polen so gedacht hätte, dann wäre manches in dieser Welt nicht passiert. Es kommt wirklich auf jeden Einzelnen an. Die Leute, die nicht zur Wahl gehen, tun das vielleicht tatsächlich aus einer gewissen Enttäuschung heraus. Aber zu sagen, ich kann ja eh nichts ändern – das ist eine zu passive Haltung, mit der ich nicht leben kann.
Wo sehen Sie denn Gründe für die Politikverdrossenheit?
Ich weiß gar nicht, ob das tatsächlich eine Politikverdrossenheit ist. Ich glaube, es ist vielmehr eine Politikerverdrossenheit. Die Menschen interessieren sich sehr für Politik. Das wird aber oft an konkreten Personen und Gesichtern festgemacht und an den Überschriften, mit denen sie für sich werben und an die sie zwei, drei Jahre nach der Wahl nicht mehr erinnert werden wollen. Da macht sich dann schnell Enttäuschung breit. Dagegen gibt es ein einfaches Rezept: sich selbst in die Gesellschaft einbringen. Zu DDR-Zeiten war das für Christen kaum möglich. Es gab ja damals das schöne Wort: Wir bauen nicht an einem Haus mit, dessen Fundamente falsch sind. Jetzt ist das anders. Jetzt können wir mitbauen. Und es gibt eine Reihe von Vereinen und Verbänden und natürlich die Parteien, wo man mitmachen und mitgestalten kann. Sich in den Schmollwinkel zu setzen und sich über Politik und Politiker zu ärgern – das ist einfach zu passiv.
Ein Grund für die Politikerverdrossenheit ist ja das Gefühl, bestimmten Politikern nicht wirklich vertrauen zu können. Woran kann ich erkennen, wer vertrauenswürdig ist?
Die großen Überschriften und die gestylten Politikerbilder auf den Wahlplakaten helfen dabei wenig. Ich muss mir als Wähler schon Mühe geben und mich über die Parteiprogramme informieren. Viele Medien leisten da eine gute Vorarbeit, auch der Tag des Herrn mit seiner Kurzübersicht über die verschiedenen Programme in der vorigen Ausgabe. Wenn man sich dafür Zeit nimmt und hinter die Schlagworte schaut, die nur eine begrenzte Aussagekraft haben, kommt man als Wähler schon zu Erkenntnissen, die einem weiterhelfen.
Auf welche Punkte sollte ein katholischer Christ dabei besonders achten?
Eine Frage ist natürlich: Wie tauchen die Themen Religion und Kirche in den Wahlprogrammen auf. Aber das ist nicht das Wichtigste und wir sollten uns als katholische Christen nicht allein darauf fi xieren. In Deutschland gibt es gewaltige Probleme. Ich nenne nur die fünf Millionen Arbeitslosen. Welche Angebote machen die Parteien, um dieses Problem zu lösen? Das ist zwar vordergründig keine religiöse Frage, aber sie hängt schon mit unserem christlichen Menschenbild zusammen, denn beim Thema Arbeitslosigkeit geht es schließlich auch um die Frage der Menschenwürde. Auf solche Punkte haben die Bischöfe ja in ihrem Wahlhirtenbrief hingewiesen.
Ein zweites großes Problem, vor dem die künftige Bundesregierung steht, ist der Umbau des Sozialstaates. Welche Kriterien sollten Christen hier zugrunde legen?
Die Kirche hat sich ja das schöne Prinzip der Subsidiarität zu eigen gemacht. Es ist Bestandteil der christlichen Soziallehre. Es besagt: Leute, nehmt eure Verantwortung selbst wahr. Tut alles, was euch möglich ist. Und wenn es nicht mehr weitergeht, dann hilft der Staat. Das ist für mich ein genialer sozialpolitischer Ansatz. Im Zusammenhang mit dem Umbau der Sozialsysteme ist ja immer wieder vom Generationenvertrag die Rede, der unserer Gesellschaft zugrunde liegt. Ich bin mir nicht sicher, ob dieser nicht schon lange gekündigt ist und uns die Politiker nur etwas vormachen, wenn sie mit kleinen kosmetischen Operationen an das Thema herangehen wollen. Vielleicht müssen unsere Sozialversicherungssysteme auch so neu defi niert werden, dass der Faktor Arbeit nicht mehr dadurch belastet wird, sondern die Leute mehr Möglichkeiten erhalten, für sich selbst sorgen – auch wenn die Umstellung schmerzlich sein könnte. Wenn das jemand dann nicht leisten kann, dann muss der Staat eintreten. Der Staat ist aber nicht per se der große Übervater, der für alles sorgt.
Die Bischöfe haben in ihrem Wahlhirtenbrief keine konkrete Empfehlung gegeben, welcher Partei ein katholischer Christ seine Stimme geben sollte. Warum tun sie das nicht?
In der Bundesrepublik gilt das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche. Deshalb ist es gut, dass sich die Kirche zwar in die Gesellschaft, aber nicht in parteipolitische Belange einmischt. Parteipolitik ist nicht ihre Aufgabe. Kirche kann, soll und muss Orientierungshilfe für die Entscheidung bieten – das haben die Bischöfe mit ihrem Hirtenbrief getan. Sie haben einige Kriterien vorgelegt und gesagt: Prüft das und dann entscheidet verantwortungsvoll als mündige Bürger.
Nun gibt es ja eine Partei, die mit dem Slogan wirbt "Schnauze voll". Und es besteht zumindest die Gefahr, dass sie manchem Wahlbürger damit aus dem Herzen spricht. Es sind ja nicht nur Nazis und Ex-DDR Kommunisten, die mit ihrer Wahlentscheidung den etablierten Politikern gerne einen Denkzettel verpassen wollen. Was halten Sie von einem solchen Denkzettel?
Eine Denkzettelwahl ist die schlechteste mögliche Entscheidung, denn dahinter steht ja keine inhaltliche Überlegung. Zu sagen, ich wähle diese oder jene Partei, um die anderen zu ärgern – das ist sehr kurzfristig gedacht und schlägt irgendwann zurück. Von Parteien, die sich in diesem Sinne mit ihren Negativaussagen dem Wähler anbieten, halte ich gar nichts. Was schlecht ist, wissen die Leute selbst. Die Parteien müssen den Menschen etwas an die Hand geben, was in die Zukunft weist, etwas, wo sie sich wiederfinden können und aufgehoben fühlen und wo sie vielleicht auch mittun können.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 08.09.2005