Bistum Magdeburg
Chancen in der Krise
Ein Hallenser Pfarrer über Erfahrungen mit Gemeindeverbünden

Halle - Bei der Bistums-Wallfahrt hat Bischof Gerhard Feige die Endphase für die Bildung von Gemeindeverbünden eingeläutet. Im Nordbereich Halles gibt es schon seit mehreren Jahren Erfahrungen damit. Der Tag des Herrn sprach mit Pfarrer Magnus Koschig.
Herr Pfarrer Koschig, derzeit werden im Bistum konkrete Schritte zur Gründung von Gemeindeverbünden gemacht, in einigen Jahren sollen daraus neue Pfarreien entstehen. Bedeutet das nicht mittelfristig das Ende für so manche Gemeinde?
Im Blick auf die Gemeinden, die mir zusammen mit der Pfarrei Heilig Kreuz übertragen wurden – die Pfarrei St. Norbert hier in Halle und die Gemeinden Ostrau, Löbejün und Wettin – habe ich da mittelfristig keine Sorge. Immer mehr Gemeindemitglieder übernehmen ehrenamtlich Aufgaben, so dass die Gemeinden auch ohne ständigen Hauptamtlichen den Glauben leben. Als Pfarrer, als Seelsorgeteam müssen wir damit natürlich gelegentlich akzeptieren, dass sie es so tun, wie sie es wollen und / oder können.
Wer sind die Ehrenamtlichen, die bereit sind, solche Dienste zu übernehmen?
Besonders die Generation der über 50-Jährigen ist bereit und in der Lage, das Leben auch in den kleinen Gemeinden zu sichern. In Löbejün etwa wissen die Leute: Es liegt an uns, ob der Seniorennachmittag stattfindet, und nicht daran, ob der Pfarrer kommt. Genauso liegt es an einer Gemeinde, die Jugendliche hat, ob eine Firmgruppe zusammenkommt oder ob regelmäßig Katechese für die Kinder stattfindet. Allerdings müssen wir die Gemeindemitglieder dafür befähigen.
Wer kümmert sich darum?
Ich habe das Glück, in der Gemeinde Religionspädagoginnen und eine Gemeindereferentin zu haben, die die Leute dafür vorbereiten. Zudem haben die Ehrenamtlichen ja oft selbst schon Erfahrungen zum Beispiel durch die Mitarbeit bei den Religiösen Kinderwochen. Eine gute Qualifikation der Haupt- und Ehrenamtlichen wird immer wichtiger. Jeder Gemeindeverbund muss sich darum kümmern, und wo er es nicht kann, wird das Bistum helfen müssen.
Nochmals zur eingangs gestellten Frage: Nach den Beschlüssen des Pastoralen Zukunftsgespräches (PZG), der Steuergruppe und des Bischofs sollen aus rund 180 Gemeinden 44 Gemeindeverbünde entstehen. Was lässt Sie dennoch auch für die kleinen Gemeinden optimistisch sein?
Im Bistum geht seit Jahren ein gewaltiger Veränderungsprozess vonstatten. Die meisten Gemeinden sind kleiner geworden, und es gibt immer weniger Seelsorger. Da gibt es nichts schönzureden. Aber: Im persönlichen Leben kann man die Erfahrung machen, aus einer Krise gestärkt hervorzugehen. Warum soll unsere Situation nicht auch Chancen haben? Sie kann dazu führen, füreinander stärker als bisher Weggefährten zu sein. Wenn es weniger Hauptamtliche gibt, so bietet das die Chance, dass Gemeindemitglieder selbst dafür einstehen, dass der Glaube gelebt wird. Beispiel: Viele kleine Gemeinden im Bistum sind es gewohnt, selbst Wortgottesdienste zu halten. Für größere Gemeinden ist das teilweise noch sehr fremd.
Die Gemeindeverbundsleiter sollen nach den PZG-Beschlüssen Management-Qualitäten entwickeln. Wo bleibt da die Seelsorge?
Seelsorge ist Begleitung. Wir sind gewohnt, Seelsorger im Zusammenhang mit den Sakramenten als Begleiter zu erleben. Aber jemand, der in einer Krise durch einen Seelsorger begleitet wurde, weiß, dass dies durchaus auch mit Management zu tun hat und doch Seelsorge ist. Insofern kann ein Seelsorger, der sich als Manager seiner Gemeinden versteht, durchaus ein guter Seelsorger sein. Und wenn ich für einen Mitbruder, eine Schwester zum Coach, zum Begleiter, Trainer und Förderer werde, bin ich ebenfalls Seelsorger.
Künftig soll es in den Gemeindeverbünden Seelsorgeteams geben ...
In den Seelsorgeteams kommt es darauf an, dass jeder schaut, was sein Steckenpferd ist. Auch Seelsorge macht nicht nur Spaß. Ein 60-Jähriger kann durchaus gut mit Jugendlichen umgehen können. Dann sollte er die Jugend leiten. Und ein Jüngerer kann vielleicht besser für Senioren dasein, auch das gibt es. Wichtig ist, dass jeder das macht, was er gern tut, denn so kommt für alle das Beste heraus. Deshalb bieten Teams Chancen. Für die Teams ist es dabei ganz wichtig, miteinander im Gespräch zu sein.
Nicht wenige Priester sind bis heute Einzelkämpfer ...
Wir werden als Einzelkämpfer nicht überleben können. Deshalb kommt es unter uns Seelsorgern darauf an, füreinander sensibel zu sein und einander beizustehen. Hinzu kommt: Die gegenwärtigen Veränderungen gehen vor allem für die Älteren mit Verlusterfahrungen einher. Viele haben sich jahrzehntelang engagiert und aufgerieben - dennoch sind die Gemeinden immer kleiner geworden ... Hier ist Trauerarbeit nötig. Mancher der Mitbrüder ist schon zwei, drei Schritte weiter, andere sind erst dabei, sich mit der Situation auszusöhnen. Die, die weiter sind, müssen die anderen mitnehmen. Da braucht es auch Raum sich auszusprechen, auch in der Gemeinde.
Knackpunkt ist eine Mentalitätsänderung bei allen, aber die ist nicht einfach zu machen ...
Die Mentalität kann sich dadurch ändern, dass jeder etwas einbringen kann. Wenn ein Gemeindemitglied und nicht der Pfarrer die Gemeinde bei öffentlichen Veranstaltungen vertritt und andere unterschriftsberechtigt sind für die Gemeindekonten, dann macht das auch ein wenig stolz. Außerdem: Ich denke, wir sollten auch über unsere kleinen Erfolge öfter mal reden. Und wir sollten uns vor Augen halten: Wir haben keinen Grund, uns zu verstecken, trotz allem, was man auch kritisieren kann. Mich tröstet immer wieder das Lied "Herr, wir bringen in Brot und Wein unsere Welt zu dir". Der Herr ist es, der verwandelt. Das hilft zum Beispiel dabei, Mitmenschen, die in einer Krise sind, mitzutragen. Und dabei darf man - gegen den Ausspruch von Nietzsche - durchaus auch mal unerlöst gucken. Spätestens bei Beerdigungen kann uns bewusst werden, dass wir als Christen reich beschenkt sind, auch wenn Fragen bleiben.
Interview: Eckhard Pohl
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 39 des 55. Jahrgangs (im Jahr 2005).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 30.09.2005
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 30.09.2005