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Bistum Dresden-Meißen

Ratzinger im Visier

Dresdner Prälat Grande über die Stasiakte des Papstes

Prälat Grande

Dresden - Jüngste Meldungen, denen zufolge die DDR-Staatssicherheit über den heutigen Papst Benedikt XVI. in seiner Zeit als Kardinal eine Akte geführt haben soll, haben Prälat Dieter Grande nicht überrascht. Der Dresdner Priester hatte sich als Leiter der 1993 von den ostdeutschen Bischöfen eingesetzten Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung der Stasitätigkeit gegenüber der katholischen Kirche intensiv mit der Arbeitsweise der Stasi befasst.

Warum interessierte sich die Stasi für Kardinal Josef Ratzinger?

    Zunächst einmal muss ich sagen, ich habe die Akte Ratzinger nicht gesehen. Ich kenne nur das, was in den Medien veröffentlicht worden ist, und das war zum Teil recht widersprüchlich. Dass sich die Stasi bereits 1974 für Professor Ratzinger interessierte, halte ich jedenfalls nicht für ungewöhnlich. Wenn eines der Bischöflichen Ordinariate oder das Erfurter Priesterseminar eine Einladung an einen Kirchenvertreter im Westen schickte, war es damals üblich, dass die Stasi die Anlage eines Personendossiers über ihn veranlasste. Und es war auch üblich, dass dabei nicht nur nach Fakten über die wissenschaftliche Laufbahn des Betreffenden gesucht wurde, sondern auch nach kompromittierendem Material wie zum Beispiel mögliche Verstrickungen mit dem Naziregime.

Aus welchen Gründen wurde in den 70er Jahren die katholische Kirche für die SED-Regierung der DDR und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) so interessant?

    Man muss den zeitgeschichtlichen Hintergrund sehen. Im Juni 1972 hatte der Bundestag die Verträge mit der Sowjetunion und mit Polen verabschiedet. Die DDR hatte großes Interesse, Anerkennung in der ganzen Welt zu bekommen. In diesem Zusammenhang begannen auch direkte Verhandlungen mit dem Vatikan. Beispielsweise war Kardinal Agostino Casaroli 1975 zu offiziellen Gesprächen in der DDR. Dabei ging es vor allem um das Anliegen der DDR, dass die Ost-Teile westdeutscher Bistümer zu selbstständigen Bistümern werden sollten, um so die Teilung der katholischen Kirche in Deutschland zu erreichen und die Bistumsgrenzen der DDR-Staatsgrenze anzupassen.

Gab es kirchlicherseits Versuche, sich gegen Bespitzelung zu schützen, wenn Gäste wie Kardinal Ratzinger zu Besuch waren?

    Jeder, der hierherkam, hat gewusst, dass er überwacht und beobachtet wurde und dass man sich dagegen nicht absichern konnte. Bei jeder Predigt musste man damit rechnen, dass jemand unter den Zuhörern war, der mitschrieb und das weitermeldete, was er verstanden zu haben meinte. Entsprechend vorsichtig waren alle mit ihren Äußerungen. Im Nachhinein hat sich gezeigt, dass der Einsatz technischer Mittel zur Überwachung der Stasi wertvollere Informationen lieferte als die Berichte von Gesprächen mit Informellen Mitarbeitern (IM). Von Kardinal Alfred Bengsch ist bekannt, dass er, wenn er wichtigen Besuch hatte, als erstes den Plattenspieler oder das Radio entsprechend laut stellte, damit die Wanzen und die Abhörenden es nicht zu einfach hatten.

Nach der Wende bedrängte viele die Frage: Wem können wir in unseren eigenen Reihen eigentlich noch trauen? Hat die katholische Kirche Ihrer Ansicht nach schon genug getan, um das Risiko, Stasi-verwickelte Mitarbeiter zu beschäftigen, möglichst gering zu halten?

    Die katholische Kirche hat hier sehr offensiv gehandelt, wenngleich das Bistum Dresden–Meißen als einziges eine Regelüberprüfung sämtlicher Mitarbeiter veranlasst hat. In den anderen Bistümern fand trotzdem mit Hilfe von Forschungsanträgen eine Aufarbeitung statt. Die Ergebnisse sind in dem Abschlussbericht, den meine Arbeitsgruppe 1998 veröffentlicht hat, gründlich dokumentiert. Es hätte aus meiner Sicht keinen Sinn gehabt, die aufwändige Regelüberprüfung in allen Bistümern durchzuführen. Im Bistum Dresden–Meißen haben wir beispielsweise 386 Anträge auf Einzelüberprüfung gestellt. Bei 371 Mitarbeitern wurde keinerlei Belastung festgestellt, zu 15 Personen gab es eine Akte. Darunter waren zwei, die von ihrem Bischof mit der Führung dieser Gesräche beauftragt waren und über jedes geführte Gespräch ihm schriftlich berichtet haben. Zwölf der IM wurden von Stasi- Mitarbeitern aufgesucht und in Gespräche verwickelt. Der Stasi- Mitarbeiter schrieb nachher selbst einen Bericht über das Gespräch für seine Vorgesetzten. Nur ein einziger IM hat eine Verpflichtung zum Schweigen und zur Zusammenarbeit mit dem MfS unterschrieben und gelegentlich selbst Berichte verfasst. Dass es in der katholischen Kirche klare Regeln für den Umgang mit der Stasi gab, hat sich ganz offensichtlich bewährt. Ein weiterer Grund für das sehr geringe Ergebnis der Regelüberprüfung ist natürlich auch, dass dem Stasi-Unterlagengesetz zufolge nur die Mitarbeiter erfasst werden durften, die zum Zeitpunkt der Überprüfung noch im kirchlichen Dienst waren. Diejenigen, die verstorben waren oder die sich aufgrund ihrer Verstrickungen bereits aus dem kirchlichen Dienst zurückgezogen hatten, konnten nicht überprüft werden.

Sie haben wiederholt darauf hingewiesen, dass in den letzten Jahren fast nur gegen IM vorgegangen wurde, aber so gut wie nicht gegen die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit. Wie sehen Sie die Chancen, das nachzuholen?

    Das kann man nicht mehr nachholen. Die Weichen sind zu Beginn so gestellt worden, bedingt durch die Frage "War das Ministerium für Staatssicherheit ein Geheimdienst oder nicht?" Eine Verfolgung der hauptamtlichen Stasimitarbeiter hätte sämtliche Geheimdienstmitarbeiter der Welt verunsichert. Für die katholische Kirche ist es natürlich schmerzlich, dass immer nur auf die IM gezeigt wird, dass aber diejenigen, die mit diesen die Gespräche geführt haben, nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Weil es die Gesprächsregelung gab, durch die die Kirche ihre Mitarbeiter abschotten wollte, schickte die Stasi ihre besten, taktisch versierten Leute zu Gesprächen mit kirchlichen Mitarbeitern. Es wäre wünschenswert, wenn ihnen zumindest gesagt werden könnte: Wie da Informationen gesammelt wurden, war ein großes Unrecht.

Fragen: Dorothee Wanzek

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 41 des 55. Jahrgangs (im Jahr 2005).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 19.10.2005

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