Blick hinter die Kulissen
Das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken
Am 6. November findet in Magdeburg die bundesweite Eröffnung der diesjährigen Diasporaaktion des Bonifatiuswerkes statt. Der Tag des Herrn hat aus diesem Anlass in Paderborn einmal hinter die Kulissen des Diaspora-Hilfswerkes geblickt.
Wenn Norbert Fiedler in die DDR fuhr, hat er manches Abenteuer erlebt. Seit 1978 unterwegs im Auftrag des Bonifatiuswerkes besuchte er katholische Gemeinden und Einrichtungen. Dass er dabei von den DDR-Organen überwacht wurde, wundert nicht. Wenn er erzählt, wie er in Plauen der Spionage verdächtigt wurde, wirkt das heute komisch. Damals war es nicht zum Lachen, denn Fiedler hatte von einer Eisenbahnbrücke aus Fotos von der katholischen Kirche gemacht. Prompt standen zwei Volkspolizisten neben ihm, denn das Fotografieren der Anlagen der Deutschen Reichsbahn war strengstens verboten. Nur wenig später und ein wenig weiter – in Klingenthal – gab es den nächsten Ärger. Hier fotografierte Fiedler die Kinder der katholischen Gemeinde. Dass er dabei ein Fabrikgebäude im typisch verfallenden DDR-Zustand als Hintergrund hatte, war Anlass, Fiedler als Westpropagandisten zu beschimpfen, der mit diesen Fotos im Westen die Errungenschaften des Sozialismus schlecht machen wolle. Beide Vorkommnisse liefen glimpflich ab. Heute lacht Fiedler darüber genauso wie über manchen Wunschzettel ostdeutscher Pfarrgemeinden aus DDRZeiten: Erstkommunionkleider, Bastelsachen und Spielzeug standen darauf, aber auch "fünf Zentimeter lange Nägel, eine Kombizange, eine Wasserwaage und – wenn möglich – auch Tapetenkleister".
Heute – 15 Jahre nach der deutschen Einheit – hat sich die Arbeit des Bonifatiuswerkes verändert. Weniger notwendig ist sie deshalb nicht. Das Bonifatiuswerk wurde 1849 als Verein gegründet (siehe nebenstehenden Beitrag). An der Spitze steht ein Präsident und der Generalvorstand. Die Generalversammlung tagt alle drei Jahre. Für die alltägliche Arbeit sind der Generalsekretär und die 34 Mitarbeiter in der Paderborner Zentrale zuständig.
Das Bonifatiuswerk ist das Hilfswerk für die Diaspora. Es unterstützt die katholischen Christen in der deutschen Diaspora, in Skandinavien sowie in Lettland und Estland. "Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Diasporabistümer in ihren Aktivitäten zu unterstützen. Deshalb sucht das Bonifatiuswerk sich auch keine eigenen Projekte, sondern reagiert immer auf die Hilferufe aus den Bistümern. Alle Förderanträge tragen sozusagen den Daumenabdruck des Bischofs oder des Generalvikars. Das zeigt uns, dass das Anliegen seriös ist und dass das Bistum dahinter steht", erklärt Prälat Clemens A. Kathke. Kathke, in Sachsen-Anhalt geboren und später nach Westdeutschland übergesiedelt, ist seit 1999 Generalsekretär.
In Zeiten knapper werdender Mittel muss sich auch ein Hilfswerk Gedanken über seine Einnahmen machen. "Wir sind nur die Treuhänder. Das Bonifatiuswerk lebt von den Hunderttausenden, vielleicht sogar Millionen Spendern", sagt Kathke. Im Gegensatz zu anderen Hilfswerken müssen alle Aktivitäten nahezu vollständig aus Kollekten und Spenden finanziert werden. "Da gibt es immer ein gewisses Auf und Ab. Aber wir haben momentan keinen Grund zu klagen." Jährlich können etwa zehn Millionen Euro Fördermittel ausgeben werden.
Ein Teil der Einnahmen – etwa ein Viertel – stammt aus Liegenschaften, Vermächtnissen und Hausverwaltung. Es gibt eine Reihe von Menschen, die ihr Vermögen dem Bonifatiuswerk ganz oder teilweise vermachen, berichtet Ulrich Franke, der für diesen Bereich zuständig ist. "Diesen Menschen ist die schwierige Situation in der Diaspora oft besonders bewusst und es ist ihnen ein Anliegen, hier zu helfen." Etwa 500 bis 600 Leuten betreut Ulrich Franke zurzeit. Manche vermachen dem Bonifatiuswerk einen Teil ihres Vermögens, andere setzen es sogar als Rechtsnachfolger für den Todesfall ein. Im Gegenzug übernimmt das Bonifatiuswerk bestimmte Verpflichtungen – von der Grabpflege bis zur Sorge um Hinterbliebene. "Für manchen alten Menschen ist es eine Hilfe, wenn er weiß, dass für seinen Todesfall alles abgesichert ist."
Dass das Bonifatiuswerk bei Spendern nach wie vor einen guten Ruf genießt, ist ein Verdienst der Öffentlichkeitsarbeit. Gerade hier hat es in den letzten Jahren eine Neuorientierung geben, bei der der Begriff Zielgruppe im Vordergrund steht. Christoph Schommer, Bereichsleiter Öffentlichkeitsarbeit und Werbung: "Wir werben nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip ,Allen alles!‘. Stattdessen wählen wir konkrete Projekte für bestimmte Gruppen aus. Wessen Unterstützung können wir für ein Bauprojekt in einer Kirche oder einem Kloster oder für ein Sozialprojekt gewinnen?"
Nach diesem Prinzip arbeitet auch die Diaspora-Kinderhilfe. Sie besteht seit 120 Jahren und gehört heute zum Bonifatiuswerk. Etwa drei Millionen Euro werden jährlich für Kinder- und Jugendprojekte ausgegeben, berichtet Matthias Micheel. Eingenommen wird das Geld vor allem bei den Kollekten der Erstkommunionkinder und Firmlinge. Den Kindern und Jugendlichen werden jeweils konkrete Projekte aus der Kinder- und Jugendarbeit vorgestellt, anhand derer das Anliegen des Diasporahilfswerkes für sie erfahrbar wird. Die Seelsorge in einem Jugendgefängnis oder ein Straßenkinderprojekt in Lettland sind nur zwei Beispiele. Mit den Kollekteneinnahmen unterstützt werden auch die Religiösen Kinderwochen (RKW), die in vielen Gemeinden ohne die Hilfe des Bonifatiuswerkes – insgesamt 400 000 Euro jährlich – so nicht stattfinden könnten. Das macht deutlich, dass dem Bonifatiuswerk das Thema Glaubensweitergabe wichtig ist. Deshalb wurden in diesem Jahr auch die Tage der Begegnung zum Weltjugendtag unterstützt. Und unter dem Stichwort "Bibeln für die Diaspora" erhalten Schulen in der Diaspora zurzeit über 1000 Bibel für den Religionsunterricht.
Das Bonifatiuswerk will Gemeinden nicht nur in materieller Hinsicht unterstützen. Besonders das regelmäßig verschickte Material – in diesen Tagen geht beispielsweise die Aktion "Weihnachtsmannfreie Zone" auf die Reise – soll ein Angebot für die Seelsorgearbeit vor Ort sein. Große Resonanz findet auch die aktuelle Glaubensumfrage unter dem Motto "Komm, sag es ihnen weiter". Christoph Schommer staunt selbst über das Echo: "Für viele ist diese Umfrage eine Hilfe, über ihren Glauben ins Gespräch zu kommen."
Bei aller Veränderung – manches überdauert die Zeiten, zum Beispiel die Fahrzeuge, die das Bonifatiuswerk Pfarrgemeinden und katholischen Einrichtungen für ihre Seelsorgearbeit zur Verfügung stellt. Seit Gründung der Diaspora-Verkehrshilfe MIVA 1949 wurden über 3000 Fahrzeuge vergeben, berichtet Erika Peitz. Und der jüngste gelbe VW-Bus steht gerade auf dem Hof. Er ist für das Priesterseminar in Erfurt bestimmt.
Informationen
Informationen im Internet unter www.bonifatiuswerk.de
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 03.11.2005