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Aus der Region

60 Jahre Ackermann-Gemeinde

Zur Versöhnung gibt es keine Alternative

Pfarrer Heinrich Bohaboj ist Heimatvertriebener aus dem Sudentenland. Heute engagiert er sich in der Ackermann-Gemeinde für die Versöhnung zwischen Deutschen und Tschechen. Foto: Matthias Holluba Am 13. Januar gedenkt die Ackermann-Gemeinde des 60. Jahrestages ihrer Gründung. Die Feier findet im Rahmen der Wallfahrt nach Philippsdorf (Filipov) statt. Zu den engagierten Mitgliedern der Ackermann-Gemeinde in Ostdeutschland gehört der Meißner Pfarrer Heinrich Bohaboj.

Was ist Heimat? Für Menschen wie Heinrich Bohaboj ist eine Antwort auf diese Frage nicht einfach. "Heimat ist dort, wo meine Freunde sind und wo ich mich angenommen fühle", sagt er, fügt dann aber hinzu: "Je älter ich werde, desto mehr geht die Erinnerung auch an die Heimat der Kindheit zurück." Für Heinrich Bohaboj ist das Sebusein, wo er 1937 geboren wurde. Heute heißt sein Geburtsort Sebuzin und liegt in Tschechien, im Kreis Usti nad Labem. Wie über drei Millionen andere Sudentendeutsche ist Heinrich Bohaboj nach dem Zweiten Weltkrieg Opfer der Vertreibung geworden.

Von einer gegenseitigen Aufrechnung des Leids, das Deutsche und Tschechen sich seinerzeit zugefügt haben, hält Bohaboj nichts. Wichtiger ist ihm der Gedanke der Versöhnung. "Dazu gibt es keine Alternative." Und deshalb engagiert sich der katholische Priester, der seit 1988 Pfarrer in Meißen ist, nicht nur im Rahmen der Städtepartnerschaft zwischen Meißen und Leitmeritz (Litomerice), sondern seit Anfang der 90er Jahre auch in der Ackermann-Gemeinde. Hier ist er der Geistliche Beirat des Diözesanverbandes Dresden–Meißen, in dem sich auch Katholiken aus den ostdeutschen Nachbarbistümern engagieren. Zum großen Treffen aller Ostdeutschen einmal im Jahr im Bischof-Benno-Haus in Schmochtitz kommen zwischen 70 und 90 Teilnehmer.

Die Ackermann-Gemeinde wurde 1946 von katholischen Heimatvertriebenen aus Böhmen, Mähren und Österreich-Schlesien gegründet. Von Anfang an spielte der Versöhnungsgedanke eine wichtige Rolle, ohne damit die geschichtliche Wahrheit zu verdrängen. Vor allem den katholischen Priestern, die zur Gründergeneration gehörten, ist das zu verdanken, berichtet Pfarrer Bohaboj. "Für sie stand fest: Der Weg in die Zukunft führt nicht über Revanche, sondern nur über die Versöhnung. Und schon damals waren sie dabei offen für ein neues Europa, wie auch immer es konkret gestaltet sein wird."

Dieser Versöhnungsgedanke macht die Ackermann-Gemeinde zu etwas Besonderem unter den Vertriebenenorganisationen. Und sie hat damit auch die Vertriebenenarbeit in der alten Bundesrepublik beeinflusst. Späte Anerkennung für dieses Engagement war im vergangenen Jahr die Auszeichnung von Franz Olbert (1976 bis 1999 Generalsekretär der Ackermann-Gemeinde) mit der tschechischen Verdienstmedaille durch Ministerpräsident Vaclav Klaus. Olbert sei es gelungen, "das belastende historische Erbe der tschechisch-deutschen Beziehungen zu überwinden", hieß es zur Begründung.

In der DDR, wo Heinrich Bohaboj gelebt hat, war Vertreibung ein Tabu-Thema. "Alles, was damit zu tun hatte, erhielt den Stempel ,revanchistisch‘. Und statt von Vertriebenen sprach man von Umsiedlern oder Neubürgern." Doch: "Wunden, die man nicht behandelt, sondern nur abdeckt, heilen schlechter", sagt Bohaboj. Alfred Grosser, ein französischer Publizist, sagte einmal: "Die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland begann erst dann, als man sich gegenseitig seine Verwundungen erzählen konnte." Das ist zwischen Tschechen und Deutschen nicht anders. Dass die offizielle DDR-Politik sich dieses Themas nicht annahm, verhinderte aber nicht, dass es auch schon vor der Wende Kontakte der Vertriebenen in ihre alte Heimat gab. Besonders engagiert haben sich katholische Christen für ihre Glaubensbrüder und -schwestern im Nachbarland, denen es in Sachen Religionsfreiheit deutlich schlechter ging. "Wir haben Kontakte aufgebaut und Hilfe geleistet, wo es möglich war." Ein Beispiel sind die vielen religiösen Bücher aus dem Leipziger St. Benno-Verlag, die heimlich über die Grenze gebracht wurden.

Inzwischen ist auch das alles schon wieder Vergangenheit, und ein neues Europa ist im Werden. Dass dazu viele Kontakte sächsischer Pfarrgemeinden zwischen Ostritz und Plauen über die Grenze zu den tschechischen Nachbarn gehören, freut Pfarrer Bohaboj. "Wir müssten uns aber noch viel mehr gegenseitig informieren", wünscht er sich und bedauert, dass dem vor allem auf deutscher Seite oft die Sprachbarriere entgegensteht.

Die kommunistische Kirchenpolitik hat in beiden Ländern – Ostdeutschland und Tschechien – tiefe Spuren hinterlassen. Besonders in den grenznahen tschechischen Gebieten in Nordböhmen gibt es kaum katholische Christen. Dass aber inzwischen viele alte Kirchen in neuem Glanz erstrahlen, ist ein gutes Zeichen. Und wenn Pfarrer Bohaboj heute in die Kirche in Zirkowitz kommt, in der er getauft wurde, und dort echte Blumen statt Kunstblumen auf dem Altar stehen, dann freut er sich darüber.



Informationen
Informationen über die Ackermann-Gemeinde im Internet: http://www.ackermann-gemeinde.de
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 2 des 56. Jahrgangs (im Jahr 2006).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 13.01.2006

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