Die Beichte in der Krise?
Neue Formen können das Sakrament wieder beleben
"Man spricht nicht mehr offen darüber. Selbst Priester meiden es als Predigtinhalt. Schuld ist zum Tabu-Thema geworden", stellt Kaplan Matthias Grzelka aus Cottbus fest. Menschen suchen in Psychotherapien und Talkshows Schuldgefühle zu bewältigen. Mehr und mehr wird Schuld anhand von Erziehung, Milieubedingtheit und unbewussten Motivationen wegpsychologisiert. Ist das Sündenbewusstsein abhanden gekommen? Die Krise der Beichte stimmt nachdenklich.
Die christliche Versöhnungspraxis hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Zu Beginn der Kirchengeschichte galt die Taufe als einziger Weg der Versöhnung mit Gott. Bei schwerer Sünde, wie Glaubensabfall, Ehebruch und Mord, wurde man aus der Gemeinde ausgeschlossen. Doch sollte allen Getauften, die schwer gesündigt hatten, die Möglichkeit verwehrt bleiben wieder in die Kirche aufgenommen zu werden? Man entschied sich für eine zweite Chance der liturgischen Versöhnung.
Harte Bußpraxis in der frühen Kirche
Unter vorübergehendem Ausschluss aus der Eucharistiegemeinschaft hatte der Sünder harte Bußleistungen zu erfüllen: Fasten, soziales Engagement, besondere Gebetsübungen, Verzicht auf öffentliche Ämter und Heirat. Die östliche Kirche praktizierte dagegen seit dem vierten Jahrhundert eine individuelle Beichte bei einem Seelenführer. Iroschottische Missionare brachten im sechsten Jahrhundert diese Bußform auf das europäische Festland. Doch erst nach 600 Jahren scharfer Kritik wurde die "Ohrenbeichte" zur kirchlichen Praxis erklärt. Im 16. Jahrhundert wurden dann die "Beichtstühle" üblich. Die Zäsur zur "modernen" Bußpastoral setzte mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein. An die Stelle heruntergerasselter Formeln trat das persönliche Bekenntnis.
Kann die Beichtkrise vor dem Hintergrund der Bußgeschichte als Chance betrachtet werden? Befindet sich die Kirche in einer Umbruchsphase zu neuen Formen der Buße? Verwaiste Beichtstühle sind nicht nur Spiegelbild einer Gesellschaft, die sich der Kirche entfremdet hat. Auch kirchentreue Katholiken meiden den Beichtstuhl. Viele haben mit der "Ohrenbeichte" negative Erfahrungen gemacht. "Es fällt schwer sein Innerstes nach außen zu kehren", sagt Günter Doll aus der Cottbuser Christusgemeinde. "Viele empfinden die Beichte als Last, manche gar als Demütigung."
Dass das Beichten bei vielen unangenehme Erinnerungen wachruft, kann Kaplan Grzelka nachvollziehen. "Lange Zeit nutzte die Kirche das Bußsakrament als Mittel zur Unterdrückung und förderte das Bild eines strafenden richtenden Gottes." Viele hätten das Bußsakrament nur als Zwang, als Konvention der Volkskirche wahrgenommen. Und in der Tat haben Beichtende die Erfahrung gemacht, dass die traditionellen Formen ihnen bei der Versöhnung im realen Leben nicht helfen können. So suchen sie bei der Bewältigung der Schuld heute meist andere Wege als die Angebote der Kirche. Zwischenmenschliche Versöhnungen am "Tatort" rücken in den Vordergrund.
Kostbarkeit, die entdeckt werden will
"Trend ist, dass viele ihre Schuld direkt vor Gott tragen", sagt Matthias Grzelka. Es gibt Tendenzen der Schuldverdrängung und Entschuldigungsmechanismen. "Der Rückgang der Beichthäufigkeit ist mit einem schwindenden Sündenbewusstsein verbunden", ist sich Edgar Schwarz aus Cottbus sicher. Ursache sei eine mangelnde Wertevermittlung. "Es fehlt uns an Gewissensbildung", ist auch Grzelka überzeugt. Gerade hier liege der besondere Wert des Bußsakraments. "Sich selbst zu erforschen hilft, sich selbst zu erkennen." Deshalb werde die Individualbeichte in Form einer persönlichen Begleitung durchaus modernen Anliegen gerecht. Die Praxis müsse diesem Bedürfnis jedoch mehr Rechnung tragen, meint Kaplan Grzelka, und verweist auf die Einrichtung von freundlich gestalteten Beichträumen.
Zudem berichtet er von einer leichten Zunahme intensiver Beichtgespräche. Auch Günter Doll und Edgar Schwarz haben diese Form der Beichte für sich entdeckt, denn hier können sie ihre Seele "einmal richtig aufräumen", wie sich Doll ausdrückt. "Als Seelenbeichte im persönlichen Gespräch wird das Sakrament der Versöhnung heute immer wertvoller", meint Kaplan Grzelka. Die Beichte sei deshalb eine Kostbarkeit, die entdeckt werden will.
Hilfen zur Beichte - Vor Gott muss ich mich nicht schämen
Wer das Sakrament der Buße empfangen will, sollte sich darauf vorbereiten. Hier finden Sie einige Fragen zur Beichte beantwortet.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 30.03.2006