Danke, dass es mich gibt!
Eine Ostergeschichte
Als Sarah auf die Welt kommt, möchte ihre Mutter sie nicht sehen. Sie gibt ihr einen Namen und bittet darum, mit dem Kind nichts mehr zu tun zu haben. Die Hebamme wäscht das Kind und legt es in ein frisches Bettchen. Nach einigen Tagen wird Sarah aus der Klinik von einem Paar abgeholt, das sich sichtlich freut, sie in die Arme zu schließen.
Die beiden wissen erst seit drei Tagen, dass sie ein fremdes Kind adoptieren können. Ein fremdes, weil sie keine eigenen Kinder bekommen – trotz aller Versuche.
Die Freude der neuen Eltern ist riesig, lange haben sie gewartet und gehofft – erst auf ein eigenes, dann auf eines, das sie adoptieren können. Das, was die leiblichen Eltern nicht schaffen, Sarah ein Zuhause zu geben, wollen sie ihm schenken. Über 15 000 Paare in Deutschland warten auf eine solche Chance. Viele davon bekommen sie nie.
Ich habe großen Respekt vor Eltern, die sich entscheiden, ein Kind großzuziehen, das sie nicht selbst auf die Welt gebracht haben, aber jetzt in die Welt bringen. Und ich habe großen Respekt vor der Mutter, die ehrlich sagt: Nein, ich schaffe es nicht , mich um dieses, mein Kind zu kümmern – und die es trotzdem zur Welt bringt, die dieses Kind neun Monate mit sich trägt und sich für ein Kind entscheidet, das nie richtig ihres wird. Ihre sicher nicht leichte Entscheidung eröffnet einer anderen Familie neue Horizonte.
Diese Geschichte ist eine Ausnahme in einem Land, in dem werdende Eltern gefragt werden, ob sie das Kind, das sie bekommen, auch wirklich wollen. Als Abtreibungsgrund wird meist die soziale Notlage angegegeben.
Soziale Notlage in einem Sozialstaat? Eine Notlage, die dazu führt, tausendfach Leben auf grausame Weise auszulöschen, dürfte es in einem der reichsten Länder dieser Erde überhaupt nicht geben. Es ist schon eigenartig: Einerseits hat sich unsere Gesellschaft in dieser Kultur des Todes eingerichtet, andererseits wird in Deutschland die geringe Kinderzahl laut beklagt, dann aber meist im Zusammenhang mit den sich absehbar nicht mehr füllenden Rentenkassen.
Die Geschichte von Sarah ist eine Ostergeschichte entgegen den allgegenwärtigen Karfreitagen in den Kliniken. In ihr gibt es nur Gewinner: die Mutter, die ihr Kind bekommt, obwohl sie keine Möglichkeit sieht, für es da zu sein, das Paar, das keine eigenen Kinder hat und nun eines geschenkt bekommt, und natürlich die kleine Sarah, die leben darf und groß werden kann, die irgendwann in den Kindergarten kommt, Freunde findet und zur Schule geht, die erwachsen wird und vielleicht eines Tages zu beiden Eltern sagen kann: Danke, dass es mich gibt.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 14.04.2006