Die ganze Tragik der Teilung
Eine Veranstaltung des Schmochtitzer Forums
Zwei Bauernbrüder können sich nur zwei Mal im Jahr sehen, obwohl ihre Höfe keine 100 Meter auseinanderliegen. Andere hängen helle oder dunkle Tücher als geheime Zeichen auf, denn "rüberwinken" dürfen sie nicht. Arndt R. Schaffner erzählt Geschichten, deutsche Grenzgeschichten. Der gelernte Fotograf und Dokumentarfi lmer aus Franken beobachtete seit den 50er Jahren die innerdeutsche Grenze, vor allem aus westlicher Perspektive. Er vergaß aber auch nicht die andere Seite, was naturgemäß schwierig war. Nach der Wende gründete er das Deutsch-Deutsche Grenzmuseum in Mödlareuth, dessen Leiter er viele Jahre war.
Rund 1000 Flüchtlinge sind umgekommen
Schaffners Geschichten sind manchmal zum Schmunzeln, über weite Strecken enthalten sie aber die ganze Tragik der deutschen Teilung: Familien werden auseinandergerissen, Westbesucher gegängelt, Menschen, die fl üchten wollten, erschossen. "Man schätzt, dass ungefähr 1000 Frauen und Männer bei Fluchtversuchen ihr Leben verloren haben", sagt Schaffner. Genauere Zahlen gebe es aber nicht. Eine wissenschaftliche Studie soll jetzt Licht in das Dunkel bringen. Das kleine Dorf Mödlareuth (Bayern/Thüringen), auch Klein-Berlin genant, kann nachgerade als Synonym für die deutsche Teilung gelten. Hier stellte Schaffner öfters seine Kamera auf.
Zunächst war es nur der kleine Tannbach, der den 50-Seelen- Ort teilte, die Demarkationslinie zwischen amerikanischer und sowjetischer Besatzungszone. "Da konnte man noch durch eine Scheune von der einen Seite zur anderen laufen", weiß Schaffner. Dann wurden die Grenzanlagen ausgebaut, noch vor dem eigentlichen Mauerbau Zäune errichtet. Später kamen auf Thüringer Seite Anwohner und Besucher nur mit einem Passierschein ins Dorf. Schaffner hatte die Kamera immer griffbereit und wurde einmal Zeuge eines Fluchtversuchs.
Der Fotograf besuchte oft die frühere DDR, auf der Suche nach Motiven. Dass man ihn dabei auf den Fersen war, verriet ihm nach der Wende seine Stasi-Akte. "Ein Treffen mit einem Pfarrer und Freunden landete sofort bei der Staatssicherheit." Schaffner gibt sich aber nicht rachsüchtig oder schadenfroh, dass die anderen auf der falschen Seite der Barrikade standen. Er will Aufarbeitung und die Geschichte lebendig halten. Deshalb ist er heute in Schulen, Kirchengemeinden oder bei Veranstaltungen der politischen Bildung zu Gast.
Das Beste an der DDR war die Wende
Die Frage nach der innerdeutschen Grenze verbindet sich für Arndt R. Schaffner mit der Frage "Was war die DDR?". Ein Unrechtsstaat, der seine Menschen einsperrte? Der Versuch, eine gerechte Gesellschaft zu errichten? Er wundert sich, wenn er heute Häusersprüche in einem schlechten Englisch entdeckt: "DDR – I like it" oder große Aufkleber an einem Trabbi: "Früher war alles besser." "Das Beste an der DDR war, dass die Menschen 1989 auf die Straße gegangen sind", zitiert Schaffner eine Theologin, die einen Verwandten an der Grenze verloren hat. Dafür, dass im Osten Deutschlands aber auch Menschen verwurzelt sind, die "hier geboren sind, eine Ausbildung erhielten und eine Familie gründeten", hat der Franke Verständnis.
Zuweilen schlägt aber auch die deutsche Gegenwart Kapriolen. Die Bewohner von Mödlareuth trennt nicht mehr die Mauer – so ganz wiedervereinigt sind sie aber trotzdem nicht. Nach der Wende hat man die Grenze wieder am Tannbach gezogen. Der eine Teil von Mödlareuth gehört heute zu Bayern, der andere zu Thüringen. Das Dorf hat unterschiedliche Autokennzeichen, zwei Bürgermeister, verschiedene Gesetze. So gestaltet die Vergangenheit Gegenwart und Zukunft.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 14.04.2006