"Toter Mann kommt.."
Eine Ordensschwester begleitet zum Tode Verurteilte in US-amerikanischen Gefängnissen
"Dead man walking" (Toter Mann kommt), ruft der Wärter, wenn ein zum Tode Verurteilter seine Zelle verlässt, um zur Hinrichtung zu gehen. Manche tun es aufrecht, die meisten wanken vor Angst. An der Todeszelle warten hinter einer dicken Glaswand die Angehörigen der Opfer, die den Mann sterben sehen wollen, der "ihnen das angetan hat". Dann wird der Verbrecher auf den elektrischen Stuhl geschnallt oder auf eine Pritsche, wenn er die Giftspritze bekommt.
Genau sechsmal hat Schwester Helen Prejean aus New Orleans dieses Szenarium bisher miterlebt, hat die zum Tode Verurteilten auf diesem Weg begleitet, für sie gebetet und ihnen bis zum Schluss in die Augen gesehen. "Du bist besser als das schlimmste Verbrechen, das du begangen hast", sagte sie zu Patrick Sonnier, ihrem ersten "Schützling", der vor seinem Tode für seine Opfer und deren Angehörigen betete und um Verzeihung bat.
Die Erfahrungen von Helen Prejean bildeten den Stoff für Tim Robbins Film "Dead man walking" (1995) und für eine gleichnamige Oper, die in Dresden aufgeführt wird. Alles fing für die "Schwester vom heiligen Joseph" mit einem Brief an, den sie einem Gefangenen im Todestrakt schrieb. Als sie Antwort bekam, nahm sie sich vor, den Betreffenden zu besuchen. Es war Patrick Sonnier, für den sie die letzte Vertraute wurde. Bei der ersten Begegnung erschrak sie darüber, "welch menschliche Züge ein Möder tragen kann". Patricks Hinrichtung wird Schwester Helen "ihr ganzes Leben nicht vergessen". Obwohl die Todestrafe in der amerikanischen Öffentlichkeit einen breiten Konsens hat, kämpft die gelernte Pädagogin leidenschaftlich dagegen an.
Dabei beruft sie sich auf die Menschenrechts-Charta der Vereinten Nationen, nach der niemand gewaltsam seines Lebens beraubt und gefoltert werden darf. "Ein Verurteilter stirbt bis zu seiner Hinrichtung 1000 Tode". Helen Prejean wirbt für eine Gesellschaft der Versöhnung und kümmert sich nicht nur um die Familien der Opfer sondern auch um die der Täter, die "einen Menschen verlieren, den sie geliebt haben". Für Bischof Joachim Reinelt, der an der Podiumsdiskussion mit Schwester Helen teilnahm, hat die abschreckende Wirkung der Todesstrafe in der heutigen Zeit ihre Bedeutung verloren.
Der Bischof berichtet von einer Begegnung mit einem Schwerverbrecher, der im Gefängnis sein Leben geändert, nicht nur die Tat bereut, sondern aus tiefstem Herzen um Verzeihung gebeten hat. "Auch ein Staat hat nicht das Recht, jemanden daran zu hindern, sein Leben zu verändern und neu anzufangen".
Die Oper "Dead Man Walking" hat am 7. Mai in der Dresdner Semperoper Premiere.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 21.04.2006