Mut zum Leben mit Kindern
Woche für das Leben in Chemnitz
Das Wort "Probleme" scheint nicht zu Katrin Tessmers Wortschatz zu gehören, jedenfalls nicht, wenn es um ihre Kinder geht. Sie erzählt mit leuchtenden Augen von ihren beiden großen Töchtern und von Nesthäkchen Justin, der vor fünfeinhalb Jahren mit einem seltenen Gendefekt geboren wurde. Er spielt leidenschaftlich gern mit Wasser, liebt Quarkkuchen, hat vor kurzem Laufen gelernt und ist von ansteckender Fröhlichkeit, wenn es ihm nicht gerade sehr schlecht geht. Das kommt allerdings öfter vor, denn wegen seiner schwach ausgebildeten Muskeln hat er eine Reihe von gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Katrin Tessmer war 30 Jahre alt, als sich der lang ersehnte Nachzügler ankündigte. Die Fruchtwasseruntersuchung, die der Arzt empfahl, wollte sie nicht machen lassen. Manche halten sie deshalb für naiv, sie selbst ist im Nachhinein froh, dass sie auf diese Weise eine sorglose Schwangerschaft voller Vorfreude erleben durfte. Erst eine Woche vor der Geburt begann es dem Kind schlecht zu gehen. Im Kreißsaal wurde den Eltern dann klar, dass etwas nicht stimmt. Medizinisch war Justin von Anfang an optimal versorgt, dafür haperte es mit der menschlichen Begleitung. "Ich hätte mir gewünscht, dass mir jemand die Wahrheit sagt", erinnert sich Katrin Tessmer. Stattdessen stieß sie auf große Unbeholfenheit. "Ich weiß gar nicht, ob ich Ihnen dazu gratulieren soll", hört sie zum Beispiel von einer Hebamme. Anstelle von konkreten Tipps und Hilfen bekamen sie im Krankenhaus nur den Ratschlag mit auf den Weg: "Wenn Sie nicht klarkommen – es gibt ja auch Heime!"
Mittlerweile haben Katrin Tessmer und ihr Mann die Helfer gefunden, auf die sie am Anfang vergeblich gewartet hatten. Der wichtigste Bezugspunkt ist für sie neben einem Team erfahrener Ärzte, guter Freunde und Justins großer Schwestern dabei der Verein "Leona e. V." für Eltern chromosomal geschädigter Kinder. Dort stehen die Tessmers im intensiven Austausch mit fünf anderen Familien, die Kinder mit dem gleichen Gendefekt haben wie Justin. Dank mancher Tipps, die sie von dort bekommen haben, wissen sie heute genau, wie sie beispielsweise mit Justins immer wiederkehrender Atemnot umgehen müssen. Unter anderem fanden sie auch Bestätigung in ihrer Ablehnung, ihn mit einer Sonde zu ernähren. Feste Kost konnte er in den ersten Lebensjahren nicht schlucken. "Ich wollte aber, dass er Essen genießen lernt", erzählt seine Mutter, die ihm alles püriert hat und sich viel Zeit für das Füttern nahm, bis er mit knapp vier Jahren die ersten Stücke schluckte. Bei Leona e. V. haben sich die Tessmers als Kontaktfamilie gemeldet, um ihre eigenen Erfahrungen weiterzugeben und anderen Betroffenen Mut zu machen. "Schlimm für uns war am Anfang die Angst vor dem Ungewissen", sagt Katrin Tessmer im Rückblick. Heute weiß sie: "Man wächst mit seinen Aufgaben." Im August wird ihr erstes Enkelkind geboren. Der Arzt hat ihrer 17-jährigen Tochter ebenfalls zu einem Fruchtwassertest geraten, da nun schon einmal ein Gendefekt in der Familie vorgekommen sei. "Warum sollte ich das tun?", antwortete die werdende Mutter. "Ich weiß doch, wieviel Spaß auch ein behindertes Kind machen kann."
Kontakt
3. Mai, 9.00 bis 16.00 Uhr
Caritas-Schwangerschaftsberatung
Münchner Str. 4:
Tag der offenen Tür zum Thema "Kind – ein Geschenk".
Das Programm der Woche für das Leben in Chemnitz unter www.kirche-chemnitz.de
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 27.04.2006