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Aus der Region

Recht einfordern

Antrag auf Stasi-Akten-Einsicht stellen

Gerhard Ruden ist seit einem Jahr Landesbeauftragter Sachsen- Anhalts für die Stasi-Unterlagen. Magdeburg - Auch 15 Jahre nach dem Ende der DDR leiden Menschen unter Folgen der Repressalien des Staatssicherheitsdienstes. Aber noch hat ein Teil von ihnen keinen Rehabilitations- Antrag gestellt, beklagt der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt, Ruden.

"Eine Reihe von Menschen werden bis heute nicht fertig mit dem, was sie in der DDR erlebt haben", sagt Gerhard Ruden. "In der Mehrzahl leiden sie unter Ängsten, die die SED-Diktatur mit ihrem Furcht und Schrecken verbreitenden Apparat hervorgerufen hat. Es gibt aber auch Bürger, die schicksalhaft erlittene Traumatisierungen ursächlich dem Staatssicherheitsdienst zuschreiben und unter Verfolgungsängsten leiden. In beiden Fällen ist von einem regelrechten Stasi-Syndrom zu sprechen."

Menschen mit derartigem Hintergrund kommen, wenn der Landesbeauftragte gemeinsam mit Diplom-Sozialarbeiter Hans-Peter Schulze vom Diözesan-Caritasverband Magdeburg etwa zwei Mal im Monat Beratungstage in den Regionen Sachsen-Anhalts anbietet. Bei den Bürgern, die dann ihre Anträge auf Akteneinsicht und Rehabilitierung stellen, seien immer Menschen, die ihre Lebensgeschichte erzählen wollen. "Viele sind dankbar, sich aussprechen zu können", sagt Ruden. "Sie hätten sonst niemanden, der ihnen mit entsprechendem Hintergrundwissen zuhört. Sie würden nie zu einem Psychologen gehen, wenngleich dies für manchen hilfreich sein könnte. Insofern übernehmen meine Mitarbeiter und ich oft die Aufgaben eines Seelsorgers."

Nicht wenige leiden an Traumatisierungen

Der 59-jährige Ruden ist seit einem Jahr als Landesbeauftragter Nachfolger von Edda Ahrberg, die diesen Dienst in Sachsen-Anhalt zehn Jahre geleistet hat. In seiner fünfjährigen Amtszeit will er in Sachsen-Anhalt eine spezielle Anlaufstelle schaffen, die sich um Menschen kümmert, die ihre Probleme mit der SED-Diktatur nicht loswerden. In Berlin gebe es mit dem Verein "Gegenwind" dafür ein "hervorragendes Vorbild".

"Es gibt immer noch zu viel Unwissenheit über die Rehabilitierungswürdigkeit für die Opfer der sowjetischen Besatzungspolitik und der verbrecherischen Justiz der SED", sagt Ruden. Sein eigener Großvater sei 1946 im russischen Speziallager Sachsenhausen verhungert. "Auch ich, der ich seit der Herbstrevolution 1989 der politischen Aufarbeitung der SBZ/DDR-Diktatur verbunden bin, wusste nicht, dass meine Mutter oder ich einen Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung stellen können und meine Mutter für eine gewisse materielle Entschädigung anspruchsberechtigt ist."

In den sowjetischen Speziallagern wie etwa auch in Jamlitz oder Mühlberg seien insgesamt 180 000 Personen interniert gewesen, von denen zirka 60 000 an Krankheiten und Unterernährung starben. "Die meisten waren ohne Verurteilung interniert. Auch deren Eltern und Kinder haben nach dem Häftlingshilfegesetz Anspruch auf Rehabilitierung und Wiedergutmachung", sagt Ruden, "ebenso Angehörige derer, die am 17. Juni erschossen wurden". Nach Schätzungen haben allein von den 2,5 Millionen Bürgern Sachsen-Anhalts 40 000 Anspruch auf Rehabilitierung, etwa auch, wenn sie im beruflichen Fortkommen behindert wurden, wobei sich eine Rehabilitierung positiv auf die Rente auswirken kann. Gut ein Viertel hätten aber noch keinen Antrag auf straf-, verwaltungsrechtliche oder berufliche Rehabilitation gestellt.

"Deshalb setzen wir uns als Landesbeauftragte in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für eine Entfristung des Antragsverfahrens nach den beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen ein. Die Antragsfrist soll bislang Ende 2007 auslaufen", sagt Ruden. Bereits Ende dieses Jahres läuft die Zeit ab, innerhalb derer die Überprüfungsergebnisse von Mitgliedern in Vertretungskörperschaften wie Stadtparlamenten oder Landtag öffentlich gemacht werden dürfen. "Ich werde mich auch hier dafür verwenden, dass diese Frist aufgehoben wird", sagt Ruden. "Schließlich muss die Bevölkerung wissen, wer in den Vertretungen sitzt." Unbefristet sei und bleibe die private Möglichkeit der Akten-Einsicht.

An die zweite deutsche Diktatur erinnern

"Ich verstehe mich nicht als Stasi-Jäger und habe auch nicht die Aufgabe, das Unrecht der SEDDiktatur juristisch aufzuarbeiten", sagt der Landesbeauftragte. "Mir geht es darum, das inzwischen umfangreich vorhandene Wissen über die zweite deutsche Diktatur einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, um so die Erinnerung wach zu halten." Ruden möchte zum Beispiel, dass der im Rahmenlehrplan vorgesehene Schulstoff über die DDR, ihre Ideologie und Repressalien den Schülern lebendig präsentiert wird. Deshalb müsse es Lehrern und Schülern leicht gemacht werden, Erinnerungsorte wie das Gefängnis "Roter Ochse" in Halle zu besuchen und auf interessante Gesprächspartner zu treffen. "Im Laufe des Sozialkundeunterrichtes muss es Pflicht werden, nicht nur ein Konzentrationslager der Nazi-Zeit, sondern auch einen Erinnerungsort der zweiten deutschen Diktatur zu besuchen", sagt Ruden. "Das Wissen auch über die DDR bietet eine Brücke in die Gegenwart." Bei dessen Vermittlung sind ihm Partner wie Schulen, aber auch kirchliche Bildungsstätten "sehr willkommen".

Verantwortliche der DDR haben Verbrechen begangen

Es dürfe nicht sein, "dass sich heute Jugendliche mit FDJ-Symbolen schmücken", ohne zu wissen, was im Namen der FDJ für Unrecht getan wurde. "Man kann die erste und zweite Diktatur nicht gleichsetzen, aber es gibt vergleichbare Merkmale", sagt der Landesbeauftragte. So träfen auf die DDR ebenfalls die Merkmale "der (russischen) Diktatur" und "der ideologischen Säuberung" zu. Auch wenn es in der Sowjetischen Besatzungszone und in den ersten Jahren der DDR wesentlich gewaltsamer zuging, mussten auch Menschen, die noch 1989 verhaftet wurden, einen unmenschlichen Haftterror erleben", so Ruden. "Es waren Verbrechen, die als Ausläufer der stalinistischen Doktrin von DDR-Verantwortlichen begangen wurden."

Der Ansturm auf die Stasi-Akten ist ungebrochen. Inzwischen habe sich das Material über das in der DDR begangene Unrecht verdoppelt. 70 Prozent der erhalten gebliebenen Akten seien gesichtet. Doch die Erkenntnisse könnten viel umfangreicher sein, wenn auch die großen Mengen an von der Stasi zerrissenen Akten schneller aufbereitet würden. Doch dafür fehlten 60 Millionen Euro für ein Computer-System. "Hier geht es um das vorenthaltene Recht, alle Möglichkeiten der Wiedergutmachung und Aufklärung nutzen zu können", sagt der Beauftragte. "Es muss alles daran gesetzt werden, diese Akten noch zu Lebzeiten der Opfer auszuwerten."



Zur Person

Geboren 1946 in Haldensleben absolvierte Gerhard Ruden nach dem Abitur zunächst eine Schlosserausbildung. Seine Mutter stammt aus der Region, sein Vater aus dem estnischen Tallin (Reval). Während seines Bauingenieur-Studiums in Weimar war er Vertrauensstudent in der Evangelischen Studentengemeinde. Später arbeitete er in verschiedenen volkseigenen Betrieben als Projekt- und Forschungsingenieur.

Früh engagierte sich Ruden aktiv in der Friedensarbeit unter dem Dach der evangelischen Kirche. So machte er schon 1979 eine "Eingabe" an das DDR-Bildungsministerium gegen die Einführung des Wehrkundeunterrichts an allgemeinbildenden Schulen. 1982 geriet er erstmals ins Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Mit anderen organisierte er 1987 ein Bürgerrechtssymposium. 1989 gehörte er zu denen, die die Kommunalwahl-Ergebnisse überprüften. Von 1986 bis 1989 gehörte er dem von Rainer Bohley geleiteten Friedensarbeitskreis in Magdeburg an. 1989 war Ruden Gründungsmitglied des "Runden Tisches Magdeburg" und des Bürgerkomitees zur Auflösung des MfS.

Von 1990 bis 1994 und ab 1996 bis 2005 wirkte er als Stadtverordneter und Stadtrat in der Kommunalpolitik Magdeburgs. Bis 1994 war er Leiter des Umweltdezernates der Landeshauptstadt. 1997 wechselte er von Bündnis 90 / Die Grünen zur CDU, wo er sein Umweltund Bürgerrechtsengagement fortsetzte. 2002 wurde Ruden in den Landtag gewählt. Zudem hatte er verschiedene Funktionen in der CDU inne und ist vielfältig ehrenamtlich tätig.



Links
www.landesbeauftragte.de
www.stiftung-aufarbeitung.de
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 19 des 56. Jahrgangs (im Jahr 2006).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 10.05.2006

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