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Bistum Magdeburg

Mit der Industrie kamen die Katholiken

Kirche im Bereich des Bistums Magdeburg (3): Das 19. Jahrhundert

Wer hätte das gedacht? Am Beginn des 19. Jahrhunderts gab es im Bereich des heutigen Bistums Magdeburg nur wenige kleine katholische Gemeinden. Knapp 100 Jahre später waren zahlenmäßig starke Pfarreien entstanden. Zwar begegnete man den Katholiken, die zum Teil polnischer Herkunft waren, in dem protestantisch geprägten Land mit Vorurteilen und Misstrauen. Aber mehr und mehr hatten sie ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt. Selbst im Parlament verschafften sich ihre Vertreter in einer katholischen Partei, dem Zentrum, Gehör. Im dritten Teil seiner Serie zur Geschichte des heutigen Bistums Magdeburg geht Pfarrer Peter Zülicke (Staßfurt) den Entwicklungen im 19. Jahrhundert nach.

Am 16. Juli 1821 wurde nach langen Verhandlungen zwischen der preußischen Regierung und dem Apostolischen Stuhl die päpstliche Bulle "De salute animarum - Im Blick auf das Heil der Seelen" veröffentlicht. Mit dieser Bulle konnten die kirchlichen Verhältnisse in Preußen nach vielen Jahren des Durcheinanders geklärt werden. Für unser Gebiet war wichtig: Die ehemaligen Klosterpfarreien, dazu die Gemeinden Aschersleben, Stendal, Halle und Burg wurden dem nächstgelegenen Bischof auf preußischem Territorium übergeben. Das war der Bischof von Paderborn. Um diesen weit von Paderborn gelegenen Bereich gut verwalten zu können, errichtete der Bischof ein Geistliches Kommissariat für die Altmark, Magdeburg und Halberstadt. Der erste Geistliche Kommissar Carl von Eß hatte sein Amt noch von der Huysburg her ausgeübt. Unter einem seiner Nachfolger wurde der Sitz aus praktischen Gründen nach Magdeburg verlegt und auch entsprechend benannt: Bischöfliches Kommissariat Magdeburg. Das Amt des Kommissars wurde mit dem des Pfarrers und späteren Propstes von Magdeburg verbunden.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts blieb die Zahl der Katholiken konstant. Dann aber traten Veränderungen mit weitreichenden Folgen ein. Die Revolution von 1848 beseitigte das Regiment des Staates über die Kirche. Der Kirche wurde das uneingeschränkte Verwaltungsrecht zugestanden. Die Gründung neuer Gemeinden war erleichtert worden. Weiterhin traten auch Veränderungen in der Wirtschaft ein. Um vom importierten Rohrzucker unabhängig zu werden, wurden vor allem in der Magdeburger Börde Rüben angebaut und zu Zucker verarbeitet. Über 100 Zuckerfabriken entstanden. Parallel dazu entwickelte sich das Eisenbahnnetz. Die benötigte Energie wurde durch die Erschließung der Braunkohlevorkommen vor allem bei Halle und Bitterfeld gedeckt. Dazu kam der Abbau von Kali bei Staßfurt. Im Zusammenhang damit entstand eine umfassende chemische Industrie und der Maschinenbau. Diese Entwicklung erforderte in großem Umfang Arbeitskräfte. Vor allem aus den ärmeren Gegenden Preußens, dem Eichsfeld und den polnischen Ostprovinzen kamen viele Katholiklen in unseren Raum. Für sie mussten neue Seelsorgestationen gegründet werden. Viele, die unter schlimmen Bedingungen arbeiteten, fanden allein in der Kirche ein Stück Heimat. In den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts gründete deswegen Bischof Franz Drepper vor allem in den am Rande gelegenen Gebieten des Kommissariats Gemeinden: Quedlinburg, Torgau, Eilenburg, Salzwedel und Naumburg. Leider fehlte es weithin am nötigen Geld, um neue Stellen finanziell abzusichern.

Im Jahr 1856 trat Bischof Konrad Martin die Nachfolge Dreppers an. Er war mit den Verhältnissen im Kommissariat gut vertraut. Stammte er doch aus dem Eichsfeld und hatte in Halle studiert. In zwölf Jahren gründete er 22 Seelsorgestationen. Ihm standen durch großzügige finanzielle Unterstützung des 1849 gegründeten Bonifatiusvereins mehr Möglichkeiten offen als seinem Vorgänger. Ganz besonders berücksichtigte er bei der Errichtung von Pfarreien die Industriestandorte. Mit Recht befürchtete er bei vielen Arbeitern nach der Entwurzelung aus der Heimat den Verlust des Glaubens.

Bei der Gründung einer Gemeinde war die bischöfliche Behörde bestrebt, eine wenigstens einklassige katholische Schule einzurichten. Dahinter stand das seelsorgliche Anliegen, in der Gemeinde nicht nur Gottesdienste zu halten, sondern auch eine christliche Allgemeinbildung im Rahmen der Kirche zu vermitteln. Bevor Stellen mit einem Priester besetzt werden konnten, versammelten die Lehrpersonen die Gemeinde und hielten Wortgottesdienst. Sie machten deutlich, dass eine Gemeinde auch ohne Priester nicht verlassen ist.

1867 wurde das Kommissariat zum ersten Mal in Dekanate eingeteilt. Es entstanden die Dekanate Egeln, Halberstadt und Magdeburg. Das Dekanat Halle wurde dem Erfurter Bereich zugeteilt. 1929 aber wieder mit dem Kommissariat vereinigt.

Der Deutsch-Französische Krieg (1879/71) und der sich verschärfende Kulturkampf brachen die positive Entwicklung ab. Konrad Martin widersetzte sich den kirchenfeindlichen Gesetzen in Preußen. Dafür wurde er 1874 verhaftet und 1875 für abgesetzt erklärt. Er konnte ins Exil nach Belgien fliehen, wo er 1879 starb.

Alle Ausbildungsstätten für Priester waren geschlossen worden. Das Fehlen von Priestern sollte sich bald für zwei Jahrzehnte bemerkbar machen. Schon 1874 konnten Salzwedel, Schönebeck, Gardelegen und Wolmirstedt nicht besetzt werden. An Neugründungen war damals nicht zu denken. Ein Gesetz forderte die Orden und Kongregationen auf, Preußen zu verlassen. So mussten die Stationen in Oschersleben, Eisleben, Torgau und Magdeburg-Altstadt aufgelöst werden. Erst nach der Lockerung der Kulturkampfgesetzgebung um 1885 begann sich das kirchliche Leben zu normalisieren. Die Gemeinden hatten in Treue zum Bischof zusammengehalten. Eine wichtige Rolle spielten in dieser Zeit häufig Laien, besonders katholische Lehrerinnen und Lehrer.

Am Ende des 19. Jahrhunderts wuchsen die Industriezentren. Viele wanderten vom Land in die Stadt ab. Um den Bedarf an Landarbeitern zu decken, erlaubte die Regierung Saisonarbeitern vor allem aus Polen, jährlich vom 1. April bis 15. November auf den großen Gütern zu arbeiten. Sie sollten auch kirchlich begleitet werden. So wurde seit 1888 die Polenseelsorge systematisch ausgebaut. Diese Priester übten nicht nur die Seelsorge aus, sondern traten häufig für die menschenwürdige Behandlung der Arbeiter ein.

Mitten in der preußischen Provinz Sachsen lag das Fürstentum Anhalt. Für die Katholiken dieses Gebietes war der Bischöfliche Kommissar vom Gesetz her nicht zuständig. Trotzdem kümmerte er sich um die Gemeinden in Dessau, Zerbst und Bernburg mit insgesamt 290 Katholiken im Jahr 1824. Als Herzog Ferdinand von Köthen 1825 zum katholischen Glauben übertrat, wurde 1834 das gesamte Herzogtum, das bis dahin noch zur nordischen Mission gehörte, dem Nuntius in München unterstellt. Es erwies sich als ungünstig, aus dieser Entfernung den seelsorglichen Notwendigkeiten gerecht zu werden. So wurde das Herzogtum 1868 dem Bischof von Paderborn als Apostolischem Vikar übertragen, dem Bistum voll eingeliedert wurde es 1921.

Im 19. Jahrhundert hatte das Bischöfliche Kommissariat eine gewaltige Entwicklung durchgemacht. Allein die Zahl der Seelsorgestellen mag dafür stehen: 1821 waren es 17, 1914 sind es 100. Diese Entwicklung wurde durch den Ersten Weltkrieg gebremst. Auch die Diaspora forderte ihren Tribut. Der Schwund der Glaubenssubstanz machte sich bemerkbar. Aber die entstandenen Gemeinden hatten sich gefunden und gefestigt. Das war ein Gewinn.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 32 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 09.08.2001

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