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Auf zwei Minuten

In Gott verwurzelt sein

von Pater Damian

Pater Damian Meyer Es gibt eine Menge von Büchern über Spiritualität und Versuche, diesen Begriff zu definieren. Für den Hausgebrauch mag es genügen zu sagen: Spiritualität bedeutet das konkrete Leben aus dem lebendigen christlichen Glauben. In einer weithin entchristlichten oder nichtchristlichen Gesellschaft bedeutet das für den einzelnen Christen eine ganz persönliche Entscheidung gegen den Trend. Da er sich nicht (mehr) getragen sieht von christlichen und kirchlichen Traditionen, von festem Brauchtum als Glaubenshilfen, ist er sozusagen direkt auf Gott geworfen: Im Glauben macht er sich fest in Gott, ist in ihm verwurzelt. Mir scheint, das ist die Bedeutung des berühmten Spruchs von Karl Rahner, der Christ der Zukunft werde ein Mystiker sein oder es werde ihn nicht mehr geben.
Die mystische Spiritualität besteht nicht aus außerordentlichen Phänomenen, sondern ist der im Alltag erfahrene und praktizierte Glaube. Weil ich in Gott "verwurzelt" bin, ziehe ich wie ein Baum die Lebenskraft aus dem Erdreich der Liebe Gottes: Ich muss meinen Wert nicht selbst durch meine Leistung herstellen, ich scheitere nicht an meinem Versagen. Gottes Liebe trägt mich. Wenn ich falle, ist einer, der mich auffängt. Ich lebe nicht in Angst, sondern vertraue da-rauf, eine Zukunft bei Gott zu haben. In der Nacht von Unglück und Leid erwarte ich das Licht des Tages.
Bei einer Konferenz mit dem Thema "Der Christ in der heutigen Gesellschaft" diskutierten wir über das Motto: "Antworte nur, wenn du gefragt wirst; aber lebe so, dass du gefragt wirst!" Das bedeutet nicht, dass der Christ immer wie ein "Tugendbold" aus der Menge hervorragt, dass er moralisch besser als die anderen und ein Vorbild ist. Es geht darum, mutig den Geist der Seligpreisungen und der Bergpredigt zu leben. Darin zeigt sich das unterscheidend Christliche. Der evangelische Theologe und Publizist Jörg Zink hat die Konsequenzen, die sich aus der mystischen Verwurzelung in Gott ergeben, in einer Art Glaubensbekenntnis dargestellt: "Ich scheue mich nicht, den Kürzeren zu ziehen. Das ist der Weg zur Gerechtigkeit. / Ich lasse mir etwas entgehen. Das ist der Weg zur Rettung der Erde. / Ich verzichte darauf, immer siegen zu wollen. Das ist der Weg zum Frieden. / Ich sorge nicht immer nur für mich selbst. Das ist der Weg zum Glück. / Ich warte nicht immerfort auf einen Lohn. Das ist der Weg zur Erfüllung. / Ich versuche nicht ständig, mich zu sichern. Ich gehe frei auf einem offenen Weg. / Ich suche nicht, mich selbst zu verwirklichen. So gewinne ich mich selbst. / Ich lasse mich los und liebe. So werde ich mich selbst in die Hand bekommen."

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 32 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 09.08.2001

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