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Pastorale!

"Wir können nicht schweigen ..."

Ein Interview mit dem Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke

Erfurt. Lebenswendefeiern, Segnungsgottesdienste zum Valentinstag und Totengedenken -der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke hat zahlreiche pastorale Projekte initiiert. Hauke gehört zu den Referenten der "Pastorale!" im Oktober in Schmochtitz. Der Tag des Herrn sprach mit ihm.

Herr Weihbischof, 1998 fand die erste Feier zur Lebenswende mit zwölf Jugendlichen statt. In diesem Jahr gab es in Erfurt drei Feiern mit 64 Jugendlichen. Ähnliche Feiern finden inzwischen auch in anderen Städten statt. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Für Jugendliche aus unserer Region, die den Übergang ins Erwachsenenalter feiern wollen und nicht zur Konfirmation oder Firmung gehen können, weil sie nicht getauft sind, gibt es als einzige Möglichkeit nach wie vor die Jugendweihe. Diese hat zwar gegenüber der DDR-Zeit Veränderungen erfahren, aber oft ist sie nur ein Feiertermin mit einem Unterhaltungsprogramm, das für die Jugendlichen gemacht wird, an dem sie sich aber kaum beteiligen können. Dazu wollte ich eine Alternative schaffen, denn: Junge Leute in diesem Alter können mehr, als wir ihnen manchmal zutrauen, und sie sind bereit, sich den Horizont weiten zu lassen -auch im Hinblick auf christliche Werte. Der eigentlichen Feier der Lebenswende, die im Wesentlichen von den Jugendlichen selbst gestaltet wird, geht eine intensive Vorbereitungsphase voraus, in der die Teilnehmer die Möglichkeit haben, über die Werte, die ihnen vom Christlichen her vorgestellt und vorgelebt werden, in verschiedenster Weise nachzudenken und sich damit zu beschäftigen.
Kritiker könnten einwenden, die Kirche sei kein alternativer Jugendweiheverein. Was erwidern Sie?
Es ist ein Wesensmerkmal der Kirche, missionarisch zu sein. Die Kirche muss ihre Werte in die Öffentlichkeit bringen, sie muss sie vorstellen und zum Leben danach einladen. Die Lebenswendefeiern sind in diesem Sinne ein missionarisches Tun, auch wenn man jetzt noch nicht sagen kann, welche Früchte das trägt. Die Zahl der Jugendlichen und der Eltern, die sich haben taufen lassen, ist eher gering. Missionarisches Tun darf man aber nicht an Zahlen messen. Der Weg zum Glauben ist eine persönliche Entscheidung, die Zeit braucht und zu der viel Mut gehört. Dennoch: Christliche Werte vorzustellen, kann ein erster Schritt sein, beim anderen Interesse am Glauben zu wecken.
Nun wird unter theologischen Fachleuten ja diskutiert, ob der Ostdeutsche für sein Leben Religion braucht. Wie religiös ist der Ostdeutsche?
Zum einen ist es eine Frage, ob jemand überhaupt mit religiösen Fragen konfrontiert wird. Wer in einem Ort lebt, in dem es keinen Kirchturm gibt, bei dem werden diese Fragen nicht so schnell aufbrechen, wie bei jemandem, der beispielsweise hier in Erfurt zuhause ist, in einer Stadt, in der es haufenweise attraktive Kirchtürme gibt. Schon durch solche Äußerlichkeiten kommen Menschen mit religiösen Fragen in Kontakt. Dann kommt es aber darauf an, ob Menschen da sind, die eine Antwort geben können, die der andere auch verdauen kann. Manche lassen solch existentielle Fragen gar nicht zu, weil sie Angst haben, darauf keine Antwort zu finden. Der Umgang mit dem Tod in unserer Gesellschaft ist ein Beipiel dafür: Ich habe Angst, keine Antwort zu bekommen, deswegen stelle ich die Frage lieber nicht.
Sind unsere Gemeinden in dieser Hinsicht missionarisch genug?
Bischof Joachim Wanke weist immer wieder darauf hin, dass wir Christen auskunftsfähig über unseren Glauben werden müssen. Das haben wir wohl noch nicht ausgiebig genug gelernt. Dazu gehört, dass ich mir zuerst selbst Rechenschaft gebe, was der Glaube für mich bedeutet und wie kostbar er mir ist. Dabei werde ich dann entdecken, dass der Glaube keine Geheimbotschaft ist, sondern etwas, was ich weitersagen muss. "Wir können nicht schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben", sagen die Apostel. Das wünsche ich mir für alle Christen, dass der Glaube für sie zu einer großen Kostbarkeit wird, die sie anderen mitteilen möchten wie jede andere gute Nachricht, die sie auch weitererzählen.
Planen Sie weitere Projekte, um den nicht Getauften etwas von der guten Nachricht der Christen weiterzuerzählen?
Ja, im Zusammenhang mit dem Thema Krankheit. Krank-Sein ist in unserer Gesellschaft zuerst eine medizinische und dann eine finanzielle Frage. Zwar ist der kranke Mensch dabei durchaus im Blick. Dass eine Krankheit -beispielsweise ein zum Stillstand gekommener Krebs -aber zu einer Lebenaufgabe werden kann, die ich bewältigen muss, das bleibt den Betroffenen oft alleine überlassen. Hier will ich versuchen zu helfen, so wie es uns Christen möglich ist. Wir kennen die Tradition entsprechender Wallfahrten. An bestimmten Orten haben Christen die Erfahrung von Heilung gemacht. Außerdem erleben sie bei solchen Wallfahrten, dass sie mit ihrer Krankheit nicht allein sind. Ich plane eine Art Segnungsgottesdienst, mit dem ich kranken Menschen Zuspruch geben und Ermutigung anbieten will. Ob ein solches Angebot angenommen wird, weiß ich nicht, denn eine Schwierigkeit dabei ist, dass sich die Kranken als Kranke zu erkennen geben müssen. Sie müssen ihre Krankheit zunächst für sich selbst akzeptieren und dann müssen sie das auch nach außen plakatieren. Das ist bei den Segnungsgottesdiensten am Valentinstag für Verliebte anders, denn Verliebt-Sein ist etwas Schönes. Die Erfahrungen mit dem Totengedenken machen mir allerdings Mut, denn da zeigen Menschen: Ich bin ein Trauernder, ich bin ein von Leid und Trennung Gezeichneter. Aber ich stehe dazu.
Sie haben gerade von Gottesdienst gesprochen. Ihre Angebote richten sich ja vor allem auch an Nichtchristen. Sind das dann Gottesdienste?
Wann beginnt eine Versammlung denn, ein Gottesdienst zu werden? Wie viele Gläubige braucht es dazu? Es braucht einen. Wenn ein Glaubender da ist, kann es ein Gottesdienst sein. Für mich sind alle angesprochenen Feiern deshalb Gottesdienste. Für andere mögen es nur Feiern im Raum der Kirche sein. Aber auch das ist ja nicht ohne Wert.
Fällt es Ihnen schwer, bei diesen Feiern unsere kirchliche Sprache so zu übersetzen, dass sie auch von Nichtchristen verstanden wird?
Das ist eine Aufgabe, von der ich nicht sagen kann, dass sie mir leicht fällt. Man muss anfangen, über viele Dinge selbst noch einmal nachzudenken. Eine gute Übung ist für mich der Religionsunterricht mit nicht getauften Kinder. Dabei merke ich, dass man vieles gar nicht so einfach übersetzen kann, aber man kann häufig die eigenen Erfahrungen zu Hilfe nehmen, um diese Dinge zur Sprache zu bringen. Gerade solche Erfahrungen können andere wiederum zum Nachdenken über den Glauben bringen.

Interview: Matthias Holluba

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 0 des 56. Jahrgangs (im Jahr 2006).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 04.07.2006

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