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Aus der Region

Christen und das DDR-Bildungssystem

Eine Forschungsarbeit zeigt auf: für christliche Schüler und Lehrer gab es zahlreiche Hindernisse

Klassenzimmer ohne Gott - über den Schulalltag von Christen in der DDR - ISBN 9783936617689

Die Erziehung sozialistischer Persönlichkeiten war das Ziel des DDR-Bildungswesens. Besonders Christen hatten es da - als Schüler und als Lehrer - nicht leicht.

Pionierorganisation, Freie Deutsche Jugend (FDJ), Jugendweihe, Wehrdienst - wer verweigerte, wurde in der DDR ausgegrenzt. Repressionen trafen vor allem Christen im Schulalltag hart. Eine Dissertation an der Technischen Universität (TU) Chemnitz orientiert auf die Betroffenen im katholischen Eichsfeld (Thüringen) und im protestantischen Erzgebirge (Sachsen). Fragen an Kirstin Wappler (32), evangelische Diplompädagogin und - mit dieser Arbeit - promovierte Politologin.

Wie benachteiligte die SED Christen in den Schulen?
Die SED-Politik durchlief verschiedene Phasen. In der Zeit der Machtetablierung ging die Partei mit aller Vehemenz gegen ihren mächtigsten Feind, die noch starke Kirche, vor. 1953, in der Hochphase des Kirchenkampfes, wurden christliche Oberschüler massenweise relegiert. Es kam auch zu vielen Entlassungen christlicher Lehrer.
Viele von ihnen fanden Arbeit bei den Kirchen - meist als Katecheten. Wer sich zu den Entlassenen bekannte, musste ebenfalls mit Entlassung rechnen. Eine weitere Folge war die systematische Bespitzelung der Betroffenen. Das war eine extreme Belastung für die Familien. Oft litten auch Familienangehörige - meist wieder durch Behinderung auf dem Bildungsweg.
In den gemäßigteren 80er Jahren, nachdem es den Herrschenden gelungen war, die Kirche stark zurückzudrängen, war die Situation für Christen etwas einfacher. Dennoch galt während der gesamten SED-Diktatur: Wer nicht an der Jugendweihe teilnahm und auch sonst unangepasst blieb, wurde in den meisten Fällen auf seinem Bildungsweg behindert. Eine Entscheidung der Jungen gegen den Dienst mit der Waffe war immer mit dem Ende der Bildungskarriere verbunden.
Welche Fälle waren für damals typisch?
Typisch ist folgendes Beispiel aus den 70er Jahren: Ein Schüler aus dem Erzgebirge hatte einen Notendurchschnitt von 1,0. Er nahm nicht an der Jugendweihe teil. Statt zum Wehrdienst wollte er zu den Bausoldaten zu gehen. Gern hätte er später Medizin studiert. Doch er erhielt keine Chance, zur Erweiterten Oberschule (EOS) zu kommen. Ein Beispiel, wie man Talente verkümmern ließ.
Im Eichsfeld waren die Verhältnisse etwas anders ...
Ja, dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen die geographische Randlage, die Außeneinflüsse abwehrte. So konnte sich ein einheitliches katholisches Milieu erhalten. Der SED fehlte zunächst eine Strategie, dieses Milieu aufzubrechen. Zum anderen waren die Eichsfelder historisch gesehen in Wehrhaftigkeit gegenüber Angriffen auf den Katholizismus geschult. Den Eichsfeldern gelang es nach dem Krieg, leitende Funktionen in den Behörden mit Katholiken zu besetzen und eine kirchliche Neulehrerausbildung einzurichten. So erschwerten sie die Politisierung zusätzlich. Eine gewisse Rolle spielte auch die hierarchische Struktur der katholischen Kirche, die den Menschen klare Leitlinien an die Hand gab.
Wie ging die SED im Eichsfeld vor?
Mangels ansässiger Genossen versuchte sie, "ideologisch feste" Lehrer aus anderen Landesteilen einzusetzen. Vor allem in den ersten Jahren ging diese Strategie nicht auf. Die Bevölkerung grenzte die Zugezogenen aus, das ging hin bis zu heftigen verbalen Attacken. Manche der Lehrer gingen zurück, andere passten sich den Eichsfelder Verhältnissen an. Es kam sogar vereinzelt zu Kircheneintritten. Entsprechend resigniert klingen die Berichte der SED aus dieser Zeit. Der "Absterbeprozess" der Religion, so hieß es, sei langwierig. Schnelle Erfolge seien nicht zu erwarten. Mit der Industrialisierung infolge des Eichsfeldplans steuerte die SED 1959 einen massenhaften Zuzug meist aus Sachsen stammender Arbeiter. Damit gelang den Machthabern ein Teilerfolg bei der Politisierung des Eichsfeldes, die im Übrigen für die SED nie ein ganz zufriedenstellendes Ergebnis brachte. So blieb hier die Jugendweihe-Beteiligung immer weit unter dem DDR-Durchschnitt.
Im protestantischen Erzgebirge waren Repressionen gegen Christen weit schärfer ...
Rund 80 Prozent der Bevölkerung in der Sowjetischen Besatzungszone waren protestantisch. Daher war die evangelische Kirche erstes Ziel der Bekämpfung. Im Erzgebirge war sie noch stärker vertreten. Zudem erfreute sich hier die Junge Gemeinde enormen Zulaufs. Hinzu kam, dass Sachsen vor allem aufgrund seiner industriellen Bedeutung Zentrum der Diktatur- Durchsetzung war. Die Machthaber hatten es hier leichter als im Eichsfeld, weil das Erzgebirge kein einheitliches Milieu wie im Eichsfeld aufweist. Industriell geprägte Städte wie Chemnitz liegen neben bergbaulich und daher stark protestantisch geprägten Orten wie Drebach, Großrückerswalde oder Pobershau.
Sie schreiben von Grenzen der Politisierung. Zuweilen hätten auch kirchenferne Lehrer wider das System gehandelt ...
Auch in einer Diktatur halten sich Gerechtigkeitsempfinden und humanitäres Denken. So kam es, dass manche Lehrer leistungsstarken christlichen Schülern überaus gute Beurteilungen schrieben. Das erschwerte eine Benachteiligung im Hinblick auf die EOS. Hin und wieder gab es auch Solidarität nichtchristlicher Lehrer gegenüber christlichen Kollegen.
Ein Lehrer im Erzgebirge etwa war stark christlich engagiert. Eine Kollegin - sie war Genossin - warnte ihn mehrfach, wenn es bei Sitzungen um ihn ging. So konnte er sich wappnen. Hier stand Solidarität über Ideologie. Ein Schulleiter im Eichsfeld wiederum schützte einen Lehrer. Der hatte auf einen verlogenen Zeitungsartikel einen geharnischten Brief an den Autor geschrieben. Dieser meldete es weiter. Der Schulleiter hätte dafür sorgen können, dass der Lehrer entlassen wird. Er tat es nicht. Man muss aber sagen, dass solche Fälle Ausnahmen waren.
Wo war ein Abweichen von der SED-Linie möglich?
Ich sagte schon: Indem Lehrer versuchten, durch gute Beurteilungen für christliche Schüler Fakten zu schaffen. Eine andere Form war das "Wegsehen". Ein Beispiel im Eichsfeld aus den 60er Jahren fällt mir ein. Hier hatte eine Schülerin das abgeschriebene Westfernsehprogramm versehentlich ins Hausaufgabenheft gelegt. Der Lehrer versah es nur mit einer Anmerkung: "Das gehört nicht hierher" und steckte es bei der Schülerin daheim in den Briefkasten. Er hätte die Sache groß aufhängen können.
Welche persönlichen Bezüge haben Sie zur Arbeit?
Ich bin evangelisch-lutherisch in Olbernhau (Erzgebirge) aufgewachsen. Mein Vater war Pfarrer. Ich hatte das große Glück, dass ich zur Wendezeit 16 war und mir alle Türen offen standen.
Was erhoffen Sie sich mit Ihrer Arbeit?
Ich habe keinen hehren Anspruch. Freuen würde ich mich, wenn Forschungen auf dem Thema aufbauen oder es vertiefen würden. Spannend wäre etwa eine Studie zur Frage: Wie gelingt es beiden Kirchen im Eichsfeld und im Erzgebirge unter heutigen Bedingungen, den Glauben zu wahren? Und wie wirkt sich die Verwurzelung im Christentum auf das Wahlverhalten aus?
Hinweis
Kirstin Wappler: SED-Staat und Kirche - Grenzen der Politisierung am Beispiel von Schulen im katholischen Eichsfeld und protestantischen Erzgebirge; Dissertation an der TU Chemnitz 2006. Das Buch ist mit Stand Sommer 2015 lieferbar:

Kirstin Wappler: Klassenzimmer ohne Gott - Schulen im katholischen Eichsfeld und dem protestantischen Erzgebirge unter SED-Herrschaft.
ISBN: 9783936617689
Mecke Druck und Verlag.

Infos per E-Mail: kirstinwappler@web.de
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 34 des 56. Jahrgangs (im Jahr 2006).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 24.08.2006

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