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Aus der Region

Hebamme des Gottesglaubens anderer sein

Erfahrungen der Christen in Suhl über eine Kreuzwegaktion in der Fußgängerzone ihrer Stadt

Drei Wochen lang standen im Mai große Holzkreuze in der Fußgängerzonen von Suhl - eine Einladung der Christen der Stadt an ihre Mitmenschen, über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Fotos: Matthias Holluba Suhl - "Kreuz - weise!!!???" dieses Motto trug eine Aktion katholischer und evangelischer Christen in Suhl. Sie luden die Mitmenschen in ihrer Stadt zur Gestaltung eines Kreuzweges in der Fußgängerzone ein. Das Projekt hat Gott, Glaube und Kirche wieder neu ins Gespräch gebracht.

Zwar liegt die Aktion inzwischen einige Monate zurück, doch Joachim Kramer ist immer noch begeistert. "Die Aktion ,Kreuz – weise!!!???‘ war ein voller Erfolg", sagt der katholische Pfarrer von Suhl. Drei Wochen lang standen im Mai im Steinweg, der Fußgängerzone der Stadt, große Holzkreuze, gestaltet von verschiedenen Menschen und Gruppen in der Stadt, darunter viele, die sonst nichts mit Kirche zu tun haben.

Eine Fußgängerzone mit 14 Straßenlaternen

Katholische und evangelische Christen hatten – in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Stadt – zu Anfang diesen Jahres ihre Mitbürger zu der Aktion eingeladen. Äußerer Anlass war das 300-jährige Jubiläum der evangelischen Kreuzkirche, die an einem Ende der Fußgängerzone steht. Die Idee hatte der katholische Pfarrer Kramer dabei eher zufällig: Mit Blick auf die Kreuzkirche hat er beim Spazierengehen in der Fußgängerzone festgestellt, dass dort 14 Laternen stehen. "In unserer Kirche gibt es die Tradition des Kreuzweges mit 14 Stationen." Und seine Idee fand bei den evangelischen Christen Zuspruch, auch deshalb, weil es in Suhl entsprechend gute Erfahrungen mit gemeinsamen Aktionen wie beispielsweise einem ökumenischen Stadtkirchentag gibt.

Die Einladung an die Suhler zum Mitmachen rief ein großes Echo hervorgerufen. Zu einer ersten Informationsveranstaltung kamen im Januar 40 Interessierte, am Ende haben 18 Einzelpersonen und Gruppen ein Kreuz gestaltet. Mitgemacht haben zum Beispiel der Hospizdienst und ein Gymnasium, Kindergärten und eine Apotheke, die Notfallseelsorge und Künstler. Jedes Kreuz hatte dadurch ein anderes Aussehen – gleich war nur das Grundgerüst, die gekreuzten Holzbalken – und einen andere Botschaft, die damit transportiert wurde.

Die Suhler Christen wollten mit dem Projekt das Kreuz in der Stadt zum Gesprächsthema machen. Pfarrer Kramer: "Wir Christen verbinden mit dem Kreuz eine ganz bestimmte Botschaft, aber wir haben kein Deutungsmonopol. Warum sollen wir Jesu Zeichen nicht allen Menschen anbieten? Warum behüten wir es so sehr? Warum machen wir es nur dem ausgewählten Zirkel Gemeinde zugänglich?" Zu Beginn der Aktion hatte der Pfarrer sich gewünscht, dass ein Gespräch in Gang kommt. Jetzt kann er rückblickend sagen: "Die Kreuze kehren zu den Menschen zurück." Die ursprünglich auf zwei Wochen angesetzte Aktion wurde auf Wunsch der Suhler um eine Woche verlängert. "Insgesamt gab es ein großes Wohlwollen."

Wichtig dabei war auch die Begleitung durch die örtlichen Zeitungen. Pfarrer Kramer besitzt einen ganzen Stapel von Zeitungsartikeln. Und mit manchen davon verbindet sich eine eigene Geschichte, ein Stück Gespräch über das Kreuz, das oft eher zufällig zustande gekommen ist. ("Was aber kann man sich mehr wünschen?") So hatte eine Zeitung beispielsweise aus Unwissenheit statt vom Kreuzweg vom "Kreuzzug im Steinweg" geschrieben. Für Pfarrer Kramer war das natürlich Anlass für ein Gespräch mit den Journalisten über Kreuzwege und Kreuzzüge.

Die Botschaft des abgebrannten Kreuzes

Ein zweiter Zufall gab dem Projekt Auftrieb: Zwar hatten die Veranstalter Beschädigungen der Kreuze nicht ausgeschlossen, dass ein Kreuz aber angezündet wurde, damit hatten sie nicht gerechnet. Der Künstler Ronald Haustein hatte sein Kreuz mit Zeitungsausschnitten umhüllt – ein Zeichen dafür, dass das Kreuz oft mit Alltäglichem und Flüchtigem verhüllt ist. Der ursprüngliche Gedanke war, dass die Witterung die Zeitungsstreifen mit der Zeit auflöst und so das Kreuz zum Vorschein kommt. Es kam anders: Eines Nachts wurden die Zeitungsstreifen angezündet. Zurück blieb das von Brandspuren gezeichnete Kreuz. Doch neben dem Entsetzen über den Akt des Vandalismus setzte das angebrannte Kreuz einen eigenen Akzent im Gespräch über den Kreuzweg. Pfarrer Kramer hat in seiner Sammlung einen Artikel der Tageszeitung, der darüber berichtet und sich stellenweise wie eine christliche Meditation liest: "Nichts ist mehr übrig bis auf die ursprünglich gekreuzten Balken. Auch eine Botschaft?" heißt es dort. Und der Künstler selbst, er ist übrigens Atheist, kommentierte das Ereignis mit dem Satz: "Das Kreuz steht wieder frei da." Damit sei das Ursprüngliche unter der Verhüllung wieder deutlich geworden.

Längst sind die Kreuze aus der Fußgängerzone wieder verschwunden. Viele von ihnen haben anderswo einen Platz gefunden. Einige stehen in der katholischen Gemeinde, eines dient als Gipfelkreuz, eines wird einen Platz in einer neuen Autobahnkirche finden und andere wurden zu denen zurückgebracht, die sie gemacht haben.

Was bleibt von der Aktion? Eine Auswertung mit den Beteiligten soll es Ende September geben. Für Pfarrer Kramer aber steht jetzt schon fest: "Wir werden als Kirche in der Stadt wieder wahrgenommen und es beginnt bei vielen Menschen anfanghaft ein anderes Denken über Gott und Kirche." Oft habe er im Gespräch in den letzten Monaten Sätze wie diesen gehört: "Ach so, die Kirche ist ja gar nicht so altmodisch und muffig wie ich gedacht habe." Nach wie vor haben viele Ostdeutsche ihr DDR-Kirchenbild im Kopf, das nur langsam korrigiert werden kann.

Den Gottesgedanken herauslocken

Dabei steht für Pfarrer Kramer fest, dass es durchaus eine Offenheit für christliche Gedanken gibt: "In jedem Menschen ist der Gottesgedanke", ist er überzeugt. "Wir müssen ihn nur herauslocken." Viele Ostdeutsche seien damit beschäftigt, "im Vordergründigen zu ackern. Als Christen haben wir deshalb die Aufgabe, Hebamme zu sein und den verborgenen Gottesgedanken zu entbinden."

Kramer zitiert das biblische Gleichnis vom Sämann, der einen Beutel umgehängt bekommt und den Samen aussäen soll. Das sieht er als Aufgabe des Christen. Was dann daraus wird, ist auch Sache Gottes. Das gibt ihm eine gewisse Gelassenheit. Für ihn gilt dabei aber auch: "Lasst doch alles wachsen bis zur Ernte." Die Kirchen seien schnell in der Versuchung, alles in ihre gewohnten Formen zu pressen. Dabei sieht er noch ein viel grundsätzlicheres Problem und das drückt er auch mit dem Gleichnis vom Sämann aus: Ihm komme es manchmal so vor, als handelten die Christen so "wie ein Sämann, der zuerst eine Bodenprobe machen muss, dann eine Pinzette nimmt und dann ein einzelnes Samenkorn in den Boden legt."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 36 des 56. Jahrgangs (im Jahr 2006).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Samstag, 09.09.2006

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