„Wer Dursthat, der komme zu mir …“
Gottes Sehnsucht
"Du, o Gott, hast uns zu dir hin geschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir." Dieses Wort aus den Bekenntnissen des heiligen Augustinus wird oft zitiert. Es bringt eine Wahrheit über den Menschen zur Sprache: seine unstillbare Sehnsucht nach Sinn, nach letzter Geborgenheit und Liebe, die nur in Gott gestillt werden kann. Auch in den Psalmen wird diese Eigenschaft des Menschen geschildert, zum Beispiel Psalm 63,2: "Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürstendes, lechzendes Land ohne Wasser." Oder Psalm 42,2: Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir."
Hungernde und dürstende Menschen, die ihr Ungenügen an den Gütern dieser Welt erfahren, werden im Evangelium seliggepriesen (vgl. Mt 5). Jesus lädt sie ein, zu ihm, der Quelle des Lebens, zu kommen: "Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt" (Joh 7,37).
Gott hat Sehnsucht nach dem Menschen
Der Mensch hat Sehnsucht nach Erfüllung seiner tiefsten Wünsche durch Gott. Kann man auch umgekehrt sagen: Gott hat Sehnsucht nach dem Menschen? Widerspricht das nicht seiner Vollkommenheit? Die mittelalterliche Mystikerin Mechthild von Magdeburg spricht in einer kühnen Anrede Gott an: "Du brennender Gott in deiner Sehnsucht!" Gottes Sehnsucht sucht uns! Mechthild spricht aus ihrer mystischen Verwurzelung in Gott heraus. Ihre Aussage ist abgedeckt durch ihre Erfahrung mit Gott.
"Gott ist die Liebe" steht als tiefgründigste Aussage über Gott im ersten Johannesbrief (4,16). Liebe will sich mitteilen, will ausströmen. So können wir erahnen, warum Gott die Welt und zumal uns Menschen erschafft: Aus Liebe.
Im Tagesgebet einer Sonntagsmesse heißt es: "Gott, du liebst deine Geschöpfe, und es ist deine Freude, bei den Menschen zu wohnen." Unsere Sehnsucht nach Gott hat ihren tiefsten Grund in der Sehnsucht Gottes nach uns. Der ewige und unendliche Gott hat Sehnsucht nach dir und mir! So hat uns Jesus in dem Gleichnis vom guten Vater (oder dem "verlorenen Sohn") Gott dargestellt: Der Vater steht an der Tür das Hauses, er sucht den Horizont ab und hält Ausschau, ob der Sohn nicht heimkomme. Gott wartet sehnsüchtig auf den Menschen. Mit dieser Wahrheit können wir leben – und sterben.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 15.09.2006