Das "kranke Mädchen an der Newa"
Caritas-Projekte in St-Petersburg, 1. Teil
Er soll um seine Stadt geweint haben. In St. Petersburg, der einstigen Zarenresidenz, spielen viele seiner Romane und Erzählungen. Das "kranke Mädchen an der Newa" hat Fjodor Dostojewski St. Petersburg genannt – von ihr war er angezogen und abgestoßen, hier forschte er nach der russischen Seele, deren Abgründe selbst er nicht ermessen konnte.
Schon Dostojewski beschrieb den großen Reichtum und die bittere Armut der Menschen in seiner Heimat. Daran hat sich nicht viel geändert, es ist nur anders geworden. St. Petersburg, Fünf-Millionen- Metropole, das "Venedig des Nordens", kann als Synonym für eine Gesellschaft stehen, der es anders als den meisten Ländern des früheren kommunistischen Ostblocks nicht gelungen ist, den Weg in die Marktwirtschaft menschlich und vor allem sozial verträglich zu gestalten. Der überwiegende Teil der Bevölkerung führt einen nackten Überlebenskampf – mit ehrlicher oder unehrlicher Arbeit. Das spielt nicht die Rolle. Die politischen Veränderungen haben im Chaos des Zerfalls der Sowjetunion eine Amerikanisierung der Gesellschaft hervorgebracht, auf die sie nicht im Ansatz vorbereitet war. Korruption, Armut, soziale Ungerechtigkeit und Kriminalität sind die Folgen eines niedergegangenen Gemeinwesens, in der das Leben des einzelnen keine Rolle zu spielen scheint. Und dennoch: "Wie die Russen auch sein mögen, man muss sie lieben". Der das sagte, muss es wissen, denn er hat knapp zehn Jahre unter ihnen gelebt. Pfarrer Hartmut Kania (1942 bis 2001), Priester des Bistums Görlitz, ging 1991 als Seelsorger der St. Petersburger Herz-Jesu-Gemeinde nach Russland. Unterstützt von Gläubigen und Mitbrüdern aus seinem Heimatbistum und anderen Diözesen sowie der Caritas und vielen Helfern ist es ihm gelungen, ein einzigartiges soziales Netzwerk aufzubauen. Kania war Caritasdirektor von St. Petersburg, später von ganz Russland. Heute betreibt der Verband rund 25 Projekte allein in der Newa-Metropole, darunter ein Altersheim, eine Sozialschule, eine Armenund Obdachlosenküche, er bietet Hilfen für Schwangere in Not und gefangene Minderjährige.
Dabei ist die Caritas ausschließlich auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Als "religiöse Organisation" hat sie keinen Anspruch auf staatliche Hilfe, die ohnehin nur spärlich oder unregelmäßig fließen würde. Besonders die Deutschen sind es, die sich, institutionell oder privat, in der Russland- Hilfe engagieren. Freiwillige Helfer arbeiten für ein Jahr und länger in St. Petersburg, um den Mitarbeitern zur Seite zu stehen. Das Bistum Görlitz unterstützt mit 50 000 Euro pro Jahr das Hartmut- Kania-Haus im Petersburger Stadtteil Kolomjagin. "Eine wichtige Hilfe, aber bei weitem nicht genug", weiß Diözesanadministrator Hubertus Zomack, ein Weggefährte Kanias, der seinen Mitbruder besonders bestärkte, nach Russland zu gehen. Die Caritas, so Zomack, sei weiterhin auf die Hilfe aus Deutschland angewiesen, um die größte Not zu lindern und um den Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen. (as)
Informationen
Spende:
Caritasverband der Diözese Görlitz e.V.,
Liga-Bank Dresden,
Bankleitzahl: 750 903 00,
Kontonummer: 20 828 4822,
Kennwort: Spende St. Petersburg
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 20.09.2006