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Anstoß

Vertrauen

Der blaue Elefant und das Alte Testament

Guido Erbrich

"Denken Sie bitte in den nächsten fünf Sekunden nicht an einen blauen Elefanten, liebe Leser. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Na geglückt? – Vermutlich nicht.

Das kleine Wörtchen "nicht" , so haben Psychologen herausgefunden, hat eine eigenartige Wirkung. Es provoziert uns, genau das zu denken, was wir eigentlich nicht sollen. Die Warnung: "Klettere da nicht hoch, du könntest herunterfallen" birgt ein ziemliches Risiko. Als erstes denken wir nämlich ans Herunterfallen, also gerade an das, was wir nicht sollen. Und vernachlässigen dabei uns besser festzuhalten. Damit, dass unsere Aufmerksamkeit an der falschen Stelle verharrt, steigen die Chancen vom Baum zu purzeln.

Unser Gehirn wird durch "nicht-Sätze" ausgetrickst, weil es die falschen Bilder aufbaut. Außerdem sucht es nach logischen Begründungen und folgt blinden Anweisungen äußerst ungern. Bevormunden lässt es sich überhaupt nicht gerne. Deswegen haben Verbote meist Nerviges an sich.

"Positive Botschaften" senden, heißt das Codewort der Psychologen. Das bringt die richtigen Bilder ins Hirn. Anstatt, "Brüll hier nicht so rum", lieber: "Lass Oma schlafen, denn wenn du so rumbrüllst, wird sie wieder wach." Positive Botschaften sind einfach zu verstehen. Sie begründen, worum es geht, und motivieren dazu, es anders zu versuchen. Das Wichtigste: Positive Botschaften nennen das Ziel, um das es geht.

Diese Erkenntnis ist bereits im Alten Testament zu finden. Die Zehn Gebote, die vielleicht berühmtesten "Du sollst nicht Sätze" der deutschen Sprache, sind eigentlich Folge einer ungenügenden Übersetzung aus dem Hebräischen. Denn genausogut lassen sie sich so übersetzen: "Weil ich der Herr, dein Gott bin wirst du keine anderen Götter neben mir haben"; "Weil ich der Herr, dein Gott bin, wirst du nicht stehlen". Anders gesagt: Du hast das einfach nicht nötig, dir kommt so etwas gar nicht in den Sinn. So gesehen sind die Zehn Gebote keine griesgrämigen Verbote, sondern ein Vertrauensbeweis Gottes an uns, seine menschlichen Ebenbilder. Er traut uns etwas zu und spart sich den belehrenden Zeigefinger. Das Bild des Gottes, der uns vertraut, ist ein ganz anderes als das des argwöhnischen Wächters mit Polizistenaugen. Wenn die Gottesbeziehung stimmt, sind einige unschöne Verhaltensweisen einfach tabu. Das versteht sich von selbst. Eine Sprache, die Vertrauen wagt und Zutrauen schenkt, setzt andere Denkvorgänge in Gang als die "Du sollst nicht"- Sätze. Sie erzeugt einen Aha-Effekt. Der ist für das Hirn gut, denn es freut sich, wenn es was Neues begriffen hat. Das kann es nämlich als begründet und somit als verstanden abspeichern.

Natürlich, es ist schwer, auf die nicht-Sätze zu verzichten. Ganz müssen Sie das auch nicht, aber oft geht es. Denken Sie in den nächsten fünf Sekunden doch mal an etwas Schönes und nicht an einen blauen Elefanten.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 39 des 56. Jahrgangs (im Jahr 2006).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 03.10.2006

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