Was es heißt, arm zu sein
Die Erfurterin Ramona Fischer
"Ich bin eine Kämpfernatur", betont Ramona Fischer trotzig. Sie ist es gewohnt, mit wenig Geld auszukommen und sagt von sich selbst, dass sie immer nur Pech im Leben hatte. Im Heim aufgewachsen gelang es ihr nach der ersten Schwangerschaft nicht, im Berufsleben Fuß zu fassen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ramona Fischer hofft weiter, wünscht sich, das sich nach der jetzigen Umschulung endlich eine Stelle findet. Sie kann es nicht verstehen, dass es nicht möglich ist, Menschen in Arbeit und Brot zu bringen. "Ich will ja arbeiten", betont sie immer wieder.
Unterstützt wird Ramona Fischer unter anderem von der Erfurter Caritas, wo sie im Tagestreff keine Unbekannte ist. Dazu kommt die Möglichkeit günstig Lebensmittel bei der Erfurter Tafel zu erwerben. Und beim Einkaufen achtet sie auf Sonderangebote und geht meist erst am Samstag nach 19 Uhr los, wenn es einiges an Frischwaren schon verbilligt gibt.
"Um über die Runden zu kommen, habe ich mir ein eigenes System entwickelt", berichtet sie weiter. Dieses besteht aus 31 Briefumschlägen in die das aufgeteilte Geld für jeden Tag kommt. "Mehr wird nicht ausgegeben." Ramona Fischer achtet darauf, dass sie spart, wo es nur geht. So beispielsweise an der Heizung. "Ich habe panische Angst davor, etwas nachzahlen zu müssen. Woher soll ich das Geld nehmen."
Und dann sind da die Kinder. Tochter Franziska macht ihrer Mutter zwar das Leben leichter, weil sie versteht, dass nur ein ganz kleines Minimum an Taschengeld möglich ist, doch kann dies die Mutter nicht wirklich beruhigen.
Auf die Frage, was sie trägt, meint Ramona Fischer: "Ich hoffe, dass meine Kinder eine bessere Zukunft haben, dass sie eine Lehrstelle bekommen und später auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Stelle." Und wenn schon nicht für alle vier, so sollen es wenigstens zwei schaffen. Allerdings wünscht sich Ramona Fischer dabei Hilfe. Selbst könne sie ihren Kindern keine Nachhilfe geben und bezahlte Stunden sind nicht finanzierbar. So kritisiert Ramona Fischer die Politik, die es ihrer Meinung nach unterlässt, Kinder in Notlagen zu fördern.
Alois Wolf, stellvertretender Diözesancaritasdirektor und Leiter der sozialen Dienste der Caritas im Bistum Erfurt, hört Ramona Fischer aufmerksam zu. Aus seiner Arbeit kennt er Situationen wie die ihre. Er weiß, wie schnell soziale Sicherheit wegbrechen kann: Überschuldung, Jobverlust, eine Krankheit...
Allerdings hält Alois Wolf die Unterschicht-Debatte für verfehlt, da die Friedrich-Ebert-Stiftung einen ganz anderen Ansatz gehabt habe. Zudem habe die Caritas in Deutschland bereits 1993 auf die vorhandene verdeckte Armut hingewiesen. Wolf stellt weiter die Frage, wie heute mit der Armut umgegangen werden kann. Verweise auf die Eigenverantwortung oder Schuldzuweisungen wie der Vorwurf der "Versorgungsmentalität" würden wenig helfen. "Was wir brauchen, ist Begleitung. Es sind zu viele, die sich nicht selbst helfen können", sagt Wolf. Und auch wenn sie noch selten sind, es gibt die Fälle, wo Menschen geholfen werden konnte, wieder zu einem eigenständigen und vor allem würdevollen Leben zu kommen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 27.10.2006