Eine Frage der Abwägung
Katholischer Arbeitnehmerbewegung lud zu Gespräch über das Für und Wider von Mindestlöhnen ein
Die Zahl derer, die einer geregelten Vollzeit-Arbeit nachgehen, aber von ihrem daraus erzielten Einkommen nicht leben können, wächst. Nach Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit gibt es zirka eine Million Menschen, die wegen ihres niedrigen Gehalts nach den Regelungen des Arbeitslosengeldes II Anspruch auf staatlichen Zuschuss haben. Jetzt war sogar die Rede davon, bis zu zwei Millionen Menschen würden ihren Anspruch darauf gar nicht wahrnehmen...
Trotz Vollzeit-Job zu wenig zum Leben
Die Frage, ob es sinnvoll ist, staatlich verordnete Mindestlöhne einzuführen, stand im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion, die am 15. Oktober in Magdeburg stattfand. Dazu hatte der Diözesanverband der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) eingeladen.
Für den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Sachsen-Anhalt, Udo Gebhard, ist klar: Die Mindestlöhne müssen kommen. Es gebe zunehmend mehr Menschen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation vom gesellschaftlichen Leben abgeschnitten sind. Und: Es dürfe nicht sein, dass Menschen, die engagiert berufstätig sind, damit nicht ihren Unterhalt sichern können. Wenn eine Frisörin etwa einen Tariflohn von 3,82 Euro verdiene, sei dies sogar weniger als das, was ALG-II-Empfänger mit etwa vier Euro bekämen.
Vorteil: Niedriglohn-Jobs sind versicherungspflichtig
Auch der Landesvorsitzende der Mittelstandsvereinigung, Detlef Gürth, MdL (CDU), hält die Frisörinnen für schlecht bezahlt. Und nennt zudem – wenn auch nicht namentlich – eine Gießerei- Firma, die ihre Schwerstarbeit leistenden Mitarbeiter mit fünf Euro pro Stunde abspeise, was ihn in Wut versetze. Immerhin seien dies aber versicherungspflichtiger Jobs. Gürth ist gegen staatlich festgesetzte Mindestlöhne. Dies sei Sache der Tarifpartner, was sich über Jahrzehnte bewährt habe. Der Mittelstands-Vertreter befürchtet: Mindestlöhne, wie sie im Übrigen etwa in Großbritannien, Frankreich oder den USA existierten, führen dazu, dass Arbeit ins Ausland verlagert wird, also Arbeitsplätze vernichtet werden. "Ich brauche mehr Unternehmer, die hier Arbeitsplätze schaffen." Klare Fakten, die dies belegen, erbringt er allerdings nicht, was der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) im Land Sachsen- Anhalt, Andreas Steppuhn (MdB) festhält: "In keinem Land Europas ist der Beweis erbracht, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten." Steppuhn betont, die SPD sei seit einigen Wochen geschlossen für die Einführung von Mindestlöhnen: "Dort, wo keine Arbeitgeberverbände da sind, – und dies nehme eher zu – muss der Staat eingreifen." Und in der Baubranche, im Maler- und Dachdeckerhandwerk gebe es auf dem Hintergrund des Arbeitnehmerentsendegesetzes ja bereits Mindestlöhne, um den deutschen Markt vor Billigarbeitern aus osteuropäischen Ländern zu schützen. Auch für das Gebäudereinigergewerbe würden solche Mindestlöhne sicher kommen. Steppuhn erinnert zudem daran, dass die Niedriglöhne auch fatale Folgen für die Alterssicherung der Betroffenen haben.
In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation mit einer Arbeitslosenquote von um die 20 Prozent können nicht Angebot und Nachfrage den Lohn bestimmen, so Matthias Ullrich von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung. "Gesellschaft und Staat haben dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmer nicht ausgenutzt werden, was letzten Endes durch Steuermittel (Hartz IV) kompensiert werden muss." Durch Mindestlöhne würde man zudem auch verhindern, dass sich Arbeitgeber durch Drücken der Löhne gegenseitig Konkurrenz zu Lasten der Sozialkassen machen.
In Fernost werden Arbeitslöhne von weniger als zwei Euro gezahlt, so Ullrich weiter. Löhne, mit denen ein deutscher Arbeitnehmer nie konkurrieren könne. Unternehmen, die die Möglichkeit haben, im Ausland zu produzieren, seien aus diesem Grund schon längst abgewandert. Die Einführung von Mindestlöhnen habe auf diesen Prozess keinen Einfluss mehr, sondern sorge dafür, dass die Arbeitsplätze, die in Deutschland verbleiben, auch fair bezahlt werden.
Auch Gürth betont: "Billiglohnland zu werden kann kein Ziel sein." Aber, so wie deutsche Arbeitnehmer keinen fairen Markt mehr vorfinden, gehe es auch den kleinen Arbeitgebern: Die großen Autokonzerne zum Beispiel würden Druck auf ihre kleinen Zulieferer ausüben, billig zu produzieren. In der Folge bezahlten die Konzerne gute Löhne, die Zulieferer könnten dies nicht.
Sind Kombilöhne ein echter Ausweg?
Staatssekretär Thomas Pleye vom Ministerium für Wirtschaft und Arbeit in Sachsen-Anhalt erinnerte daran, dass auf Bundesebene eine Arbeitsgruppe zu den Themen Mindestlöhne, Kombilöhne, Hinzuverdienstmöglichkeiten gegründet wurde. Er halte die Kombilöhne für eine gute Möglichkeit, Menschen, die hart arbeiten und dennoch wenig verdienen, ein Auskommen zu geben, wenn der Staat die Löhne aufstockt.
Ein Zuhörer des Forums warf ein: Wenn es stimme, dass Niedriglöhne zu mehr Arbeit führten, müssten die neuen Länder blühende Landschaften sein.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 01.11.2006