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Anstoß

"Der Tod ist eine Zuckerstange"

Gedanken vor einem Familienalbum

Martin Weber

Da hielt ich neulich etwas in den Händen, was mich nicht mehr losließ. Ein altes Büchlein des ausgehenden 19. Jahrhunderts, eine menschliche Kostbarkeit, deren Verfasserin schon lange nicht mehr am Leben ist. Mich rührte schon beim ersten Blättern in diesem Album das Bild eines verstorbenen Mädchens von etwa drei Jahren.

Der Körper des kleinen Mädchens, bei dem es sich um die Cousine der Besitzerin des Büchleins handelte, wurde auf diesem Foto in einer ungewöhnlichen Haltung präsentiert: Nicht wie ein kleiner Leichnam, sondern in seinen Sonntagsstaat gekleidet und auf einem Sessel sitzend blickte mich die kleine Gestalt mit halb geöffneten Augen an. Sie sah wie ein Engel aus. Wenn der Anlass dieses Fotos nur nicht so traurig gewesen wäre, dachte ich mir, und wurde zwangsläufig an die erschreckend hohe Kindersterblichkeit dieser Zeit erinnert.

So waren wohl fast alle Familienalben dieser Zeit auch mit Fotos toter Kinder bestückt. Als ich das Album weiterblätterte, war ich verblüfft. Dort sah man Bilder von Totenköpfen, die aussahen, als seien sie aus Zucker oder Schokolade. Und tatsächlich stand dort schwarz auf weiß ein Hinweis auf die Gebräuche zum Totengedenken in Mexiko.

Das Andenken der Toten ist dort ein sehr wichtiges Fest und wird einmal im Jahr in einer ganz besonderen Form begangen. In der Nacht vor und nach Allerheiligen, werden zu Ehren der Toten Altäre in den Häusern aufgebaut. Die Nacht vom 31. Oktober zum 1. November ist den verstorbenen Kindern gewidmet. Die erste Nacht gehört den Kindern, da man davon ausgeht, dass sie schneller laufen können als die Alten, und somit schneller aus dem Reich der Toten zurück nach Hause finden. Die Nacht vom 1. auf dem 2. November gehört dann den Erwachsenen. Es werden die Kerzen erneuert und andere Speisen aufgestellt.

Die Bild des kleinen toten Mädchens und die Bilder aus Mexiko haben für mich eines gemeinsam: Sie zeigen, dass die Menschen früherer Jahrhunderte aber auch heutige Zeitgenossen eine andere Einstellung zum Tod hatten und haben als wir. Der Tod als Bestandteil des Lebens. Und heute: Wenn wir technisch fast alles machen können, warum nicht auch den Tod besiegen.

Eine Welt ohne Tod ist aber eine trügerische Heilsverheißung. Sie wird es niemals geben. Da ist mir unsere christliche Vorstellung eines Todes mit Auferstehungsglauben schon lieber. Gott wird am Ende unseres Lebens mehr lieben als die Moleküle, die sich im Augenblick des Todes im Leib befinden. Wir Menschen werden dann bei Gott nicht nur unseren letzten Augenblick wiederfinden, sondern unsere ganze Geschichte. Das ist tröstlich. Gestern und heute!

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 44 des 56. Jahrgangs (im Jahr 2006).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 01.11.2006

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