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Aus der Region

Erlösung für faule Christen?

Eine Diskussion über den Ablass aus katholischer und evangelischer Sicht

Halle - Ist der Ablass ein Angebot für faule Christen, ohne ein wirklich christliches Leben in den Himmel zu kommen? Die Ablasspraxis in Geschichte und Gegenwart stand im Mittelpunkt eines evangelischkatholischen Gesprächs am Reformationstag in Halle.

"Ablass: Erlösung für ,faule Christen‘?" war die Veranstaltung überschrieben, zu der das Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, Stiftung Moritzburg, eingeladen hatte. Äußerer Anlass dafür war die Ausstellung "Der Kardinal. Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen", die noch bis 26. November in Halle gezeigt wird (Tag des Herrn 38/2006). Der Handel mit Ablässen, der Albrecht wichtige Einnahmen brachte, war Auslöser für Martin Luthers 95 Thesen und die Reformation. Rund 180 Interessierte verfolgten die angeregte Diskussion.

Für den evangelischen Leipziger Dogmatiker Ulrich Kühn sind Formulierungen, wie sie im Codex Iuris Canonici (CIC), dem zentralen Rechtsbuch der katholischen Kirche (Fassung von 1983) zum Thema Ablass stehen, nicht nachvollziehbar. Etwa, wenn die Rede davon ist, dass der Einzelne "Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist", erlangen kann, und zwar "durch die Hilfe der Kirche, die im Dienst an der Erlösung den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet und zuwendet" (CIC Can 992). "Mit Martin Luther bin ich gegen die Anmaßung der Kirche, Strafen, die der Sünder noch abzubüßen hat, autoritativ abmildern zu können", so der emeritierte Theologie-Professor.

Kritik an der heutigen Ablasspraxis der Kirche

Zudem habe die Zusage vom Ablass von zeitlichen Strafen die Gefahr, dass der Sünder glaubt, mit seinem Werk alles Nötige getan zu haben, und echte Erneuerung und Buße aus dem Blick geraten. Für evangelische Christen sei unverständlich, wenn die katholische Kirche auch heute wie zum Beispiel zum Heiligen Jahr 2000 den Gläubigen einen vollkommenen Ablass zusagt, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen, zumal sich die Kirchen in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 einig waren, dass allein Gott den Menschen gerecht machen kann. Martin Luther hat betont: Die Kirche könne Sünder von den Aufl agen befreien, die sie ihnen auferlegt hat, wie dies in der alten Kirche üblich war. Aber sie habe keine Vollmacht auf den Zustand des Betreffenden jenseits des Todes, erinnerte Kühn.

Sein katholischer emeritierter Kollege Wolfgang Beinert unterstrich, Luther habe zu Recht die Ablasspraxis seiner Zeit mit ihrer "Materialisierung" ("Wenn das Geld im Kasten klingt …) kritisiert. "Wir müssen Luther dafür dankbar sein." Zudem räumte Beinert ein, die Formulierungen des CIC müssten in die heutige Situation hinein umgeschrieben werden. Er verstehe den Ablass als "Resozialisierungsmaßnahme" der Kirche.

Die Wiedergutmachung der Folgen eines Vergehens spielt auch außerhalb des Glaubens eine wichtige Rolle, erläuterte der Dogmatiker aus Pentling, der zuletzt auch am Institut für Katholische Theologie und ihre Didaktik an der Martin-Luther-Universität Halle gelehrt hatte. Für die Kirche gilt ebenso: "Wenn jemand sündigt, wird die Ordnung pervertiert." Wie in der Gesellschaft die staatliche Autorität für die Resozialisierung nötig ist und dem Straftäter ein Bewährungshelfer an die Seite gestellt wird, seien im Bereich der Kirche mit Gottes Beistand die Gemeinschaft der Gläubigen und die kirchliche Autorität gefordert, den Sünder auf den richtigen Weg zu führen. Dennoch ist niemand gehalten, einen Ablass zu gewinnen, so Beinert. "Der Ablass ist eine Randfrage."

Auch Kirchenhistoriker Arnold Angenendt aus Münster kritisierte die Formulierungen im CIC. Sie seien "Wiederholungen der spätmittelalterlichen Ablassordnung" und heute "ein Stück weit ein Dolchstoß gegen die Ökumene".

Der Ablass ist eine Resozialisierungsmaßnahme

Zur Lehre vom Fegefeuer und der Frage, ob Ablass auch für Verstorbene erworben werden kann, erläuterte der Theologe: Mit dem Ausbleiben der Wiederkunft Christi in der frühen Kirche ist das Problem entstanden, was mit denen ist, die mit Schuld gestorben sind: Wo sind sie? Haben sie die Chance, in den Himmel zu kommen? Und können die Lebenden etwas für sie tun? Daraus habe sich im Rückgriff auf das Pauluswort 1 Kor 3,13-15, wonach jeder im Feuer geprüft wird, die Lehre vom Fegefeuer entwickelt. Angenendt erinnerte auch daran, dass im Mittelalter eine große Sorge um das ewige Heil vorherrschte.

Ulrich Kühn räumte ein, Protestanten müssten über ihre Betonung des Individualismus hinaus wieder stärker die soziale Dimension des Christ- und Menschseins ins Auge nehmen. Zudem betonte er, Luther habe nie das Fegefeuer als Ort der Läuterung in Frage gestellt. "Wir Evangelischen wissen, dass die Verstorbenen befreit werden müssen von Banden des irdischen Lebens." Deshalb sei es gut, für sie zu beten. Dennoch müsse jeder Christ sein Leben am Evangelium ausrichten und nicht auf den Ablass vertrauen.


Weitere Informationen
www.jesuiten.org
http://de.wikipedia.org/wiki/Ablass
http://de.wikipedia.org/wiki/Fegefeuer


Stichwort - Sich Gott liebend zuwenden

Gott kann jede Sünde vergeben, vorrausgesetzt, der Sünder bereut seine Tat und nimmt sich ernsthaft vor, sich zu bessern. Durch die Sünde entsteht aber auch Schaden im Umfeld. Diesen gilt es – so weit möglich – wieder zu beheben (ein Aspekt, der auch im modernen Gerichtsverfahren eine Rolle spielt).

Im ersten Jahrtausend hatte jemand, der eine schwere Sünde begangen hat (Mord, Ehebruch, Betrug …) einen langen öffentlichen Prozess zu durchlaufen und dabei Werke der Wiedergutmachung und Buße zu leisten. Priester und Gemeinde begleitete ihn durch Fürbitten. Am Ende stand die Lossprechung (Absolution) und die Wiedereingliederung (Reconciliation) in die Gemeinde. Weil sich die Menschen im Klaren waren, dass niemand makellos ist und immer ein Rest an Schuld bleibt, entstand die Praxis, auch für die Verstorbenen Buße zu tun. Schon früh glaubte man, dass die Märtyrer durch ihr Zeugnis auch für andere Christen Sühne leisten.

Im Laufe der Zeit vollzog sich ein Wechsel von der öffentlichen zur privaten Bußpraxis. Die Buße wurde erst nach der Beichte geleistet. Die zeitliche Strafe (im Fegefeuer) wurde von der ewigen Strafe in der Hölle unterschieden. Gott streicht die ewige Strafe, die zeitliche muss durch den Sünder gesühnt werden. Das vom Priester auferlegte Bußwerk (es gab dafür entsprechende Register) wurde zunehmend quantitativ verstanden (zum Beispiel soundsoviele Tage fasten). Auch die Praxis von Geldzahlungen, die man im altgermanischen Recht kannte, kam auf.

Seit dem 11. Jahrhundert entwickelten Theologen daraus ein juristisches Konzept: Die Verdienste von Jesus Christus und den Heiligen bilden einen unermesslichen Gnadenschatz, den die Kirche verwaltet und austeilen kann (CIC 992). Im Ablass gibt die Kirche dem Sünder aus diesem Gnadenschatz, was ihm fehlt, um vor Gott wieder gerecht dazustehen. Dadurch wird dem Sünder die Strafe erlassen, sowohl die Bußzeit in diesem Leben als auch eine etwaige Strafe im Fegefeuer. Die Kirche stellt Bedingungen, zu denen sie diesen Ablass gewährt. Diese Praxis wurde im Spätmittelalter durch den Ablasshandel, wie ihn etwa Johann Tetzel praktizierte und der Martin Luther auf den Plan rief, ad absurdum geführt.

Der Missbrauch wurde abgestellt. Das Ablasskonzept besteht jedoch bis heute. Voraussetzungen für die Gewinnung des Jubiläumsablasses im Jahr 2000 waren persönliche, vollständige sakramentale Beichte, Teilnahme an der Eucharistie, Besuch einer vom Bischof bestimmten Kirche, Gebet nach Meinung des Papstes (Vaterunser, Glaubensbekenntnis, Gegrüßet seist du, Maria).

Der Jesuit Peter Knauer rät, diese Punkte als ausdrückliche Empfehlung der Kirche zu verstehen und sich bei ihrer Erfüllung mit ganzem Herzen liebend Gott zuzuwenden. Dazu jedoch bedürfe es gar nicht so sehr einer ausdrücklichen kirchlichen Bewilligung, so der Theologe. (ep)

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 46 des 56. Jahrgangs (im Jahr 2006).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 20.11.2006

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