Langsamkeit
Eine Herausforderung im Advent
Der Advent ist ein Wartezimmer. Die Sprache des Advents ist die eines Wartezimmers. Da heißt es zwar nicht wie beim Arzt "Kommen Sie" oder "der Nächste bitte". Aber viele Lieder und Texte der Adventszeit sprechen eine Sprache, in der vom Ankommen die Rede ist. In unserem Gesangbuch heißt es zum Beispiel im Gotteslob (Lied 106): "Bald wird kommen unser Gott." So ein Liedtext sagt dann auch, dass wir uns in Bewegung setzen lassen und nicht im Wartezimmer ausharren sollen. Denn: Adventliche Menschen bleiben nicht einfach sitzen und denken dann: "Es soll eigentlich alles so bleiben, wie es ist."
Die Sprache des Advents ist aber nicht nur eine Sprache des Wartens, sondern auch der Langsamkeit und der langsamen Worte! Adventsworte können sehr langsame Worte sein. Sprechen Sie, lieber Leser, liebe Leserin, doch einmal ganz ruhig Worte wie "Kerze", "Glocken", "Rorate", "Schlitten" oder "Schnee" vor sich hin. "Nun ja, aber ich habe für solche Adventsworte keine Zeit", werden Sie vielleicht sagen. Ist es dann nicht so, dass in einer Zeit, in der alles schnell gehen muss, der Advent wie eine Zumutung erscheinen muss? Das meint auch der Nürnberger Pfarrer und Psychologe Hans G. Behringer in seinem Werk "Die Heilkraft der Feste". Warum, fragt der Seelsorger, geraten die Menschen ausgerechnet in der traditionell stillsten und besinnlichsten Zeit des Jahres in so eine Hektik? Vielleicht sei der Festtagsstress und Konsumrausch Flucht vor einer tiefer liegenden Sehnsucht nach dem Heil der Seele, gibt Behringer zu bedenken.
Wir Christen wissen, dass der Advent eine Zeit des Innehaltens und die "Erfindung der Langsamkeit" ist, um den Titel eines Buches von Sten Nadolny zu zitieren. Dieser schöne Roman erzählt das Leben des englischen Seefahrers und Nordpolforschers John Franklin (1786 bis 1847). Franklin wird als ein langsamer Mensch im Denken, Handeln und Sprechen charakterisiert. Er ist eigentlich zu langsam für die Zeit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dem Zeitalter der industriellen Revolution. Aber die vermeintliche Schwäche des Außenseiters wird jedoch als Ausdauer, Gründlichkeit und Gelassenheit schlussendlich zu seiner Stärke. Franklin entzieht sich zumindest zeitweilig der Schnelllebigkeit der damaligen Zeit und setzt ihr seine Haltung entgegen. Franklins Langsamkeit erscheint in dem Buch geradezu als Voraussetzung für eine menschliche Gesellschaft. Und es bleibt letztlich seine Botschaft, dass eine umsichtige und bedächtige Art zum Frieden zwischen den Menschen und Völkern beiträgt. Franklin, ein Mann, der warten konnte. Erkennen Sie nicht auch Bezüge zum Sinn der Advents- und Weihnachtszeit?
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 01.12.2006