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Anstoß

Selig die Dürstenden

Über die Sehnsucht

Pater Damian Meyer

Auf einigen Glückwunschkarten zum Neujahr wünschte man mir "Zufriedenheit", sicherlich ein gut gemeinter und berechtigter Wunsch. Wenn Zufriedenheit bedeutet, sich selbst und seine Lebenssituation zunächst einmal anzunehmen, in Frieden mit sich selbst und anderen Menschen zu leben, dann ist Zufriedenheit eine christliche Grundhaltung, früher Tugend genannt. Und doch kam mir beim Lesen der Neujahrskarten der Gedanke: Das kann doch nicht alles sein, es muss doch mehr im Leben geben!

Der Unterschied zwischen der faktischen Welt und dem Verlangen nach Heimat und Glück und Liebe ist der Nährboden für ein Lebensgefühl, das heute viele Menschen haben: die Sehnsucht. Es geht dabei um eine Grundhaltung des religiösen Menschen. Letztlich ist es die Sehnsucht nach vollkommener Erfüllung, die nur Gott geben kann.

Thomas von Aquin versteht diese Sehnsucht als ein naturhaftes Sehnen nach der Gottesschau. Im Psalm 42 heißt es: "Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir ... Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen?" Ähnlich Psalm 63: "Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser."

Eugen Drewermann stellt diese Sehnsucht dem "seelischen Erstickungstod des Alltags" gegenüber: "Wir Menschen tragen wesensnotwendig die Sehnsucht nach Unendlichkeit in uns; wir verzehren uns aus Durst nach Unsterblichkeit; und wir müssen schon sehr weit in der Verzweiflung abgestumpft sein, um solche Gefühle gar nicht mehr zu kennen. Ja, wir müssten unsere Seele schon sehr stranguliert haben, um uns in den Kategorien des Endlichen zur Ruhe zu setzen und den seelischen Erstickungstod des Alltags beinahe wie eine Erleichterung von allen wesentlichen Fragen zu begrüßen. Nein, für jemanden, der in der Wüste verdurstet, ist der Durst der Beweis, dass es Wasser geben muss, selbst wenn an dem Ort, da er lebt, weit und breit kein Wasser zu finden ist."

Jesus hat in seinen Worten und Taten gezeigt: Die Menschen tragen in sich die schönsten und großartigsten Verheißungen. In den Seligpreisungen der Bergpredigt wird dem in Sehnsucht Suchenden Erfüllung versprochen. Und nach dem Johannesevangelium (Joh 7,37) wendet er sich ausdrücklich an die Dürstenden: "Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag, stellte sich Jesus hin und rief: Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 3 des 57. Jahrgangs (im Jahr 2007).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 19.01.2007

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