Kirchen-(N)Ostalgie
Über ein Idealbild der Kirche in der DDR

Sie greift wie die Grippe um sich und sucht neue Opfer. Was für ehemalige Parteimitglieder und Funktionäre verständlich ist, verwundert, wenn es Christen betrifft. Die neue Spielart des Virus "(N)Ostaligie" erzeugt ein Idealbild von Kirche, dass es so in der DDR wohl nie gegeben hat. "Ach, was waren die Kirchen damals voll." – "Wie schön war es, zur Elisabethwallfahrt nach Erfurt zu fahren." – "Welchen Zusammenhalt gab es in unseren Gemeinden."
Heute dagegen: Sparzwänge, Gemeindefusionen, Immobilienverkäufe, Kapellenauflösungen, Priestermangel. Und: "Die Bischöfe konnten damals auch besser predigen."
Keine Angst. Hier soll nicht kaputtgeredet werden, was damals gut war. Aber, bei aller (N)Ostalgie: Probleme gab es damals jede Menge. Die Zeit der größten Kirchenaustrittswelle Europas hat nur 40 Jahre gedauert und aus einer (zumindest von den Taufzahlen her) flächendeckenden Christenheit eine Minderheit gemacht. Die aktiven Christen jener Zeit hatten dem wenig entgegenzusetzen. Damit verglichen ist jetziger Gemeindeschwund eine zu vernachlässigende Größe.
Für die allerdings, die in den Kirchen blieben, erzeugte der enorme Außendruck innen eine kuschelige Wärme. Leider konnte diese Wärme wenig nach draußen dringen. Das ging ganz gut im sozialen Bereich, anderswo war es beinahe unmöglich. Die friedliche Revolution, die heute nach der Wortschöpfung von Egon Krenz verharmlosend "Wende" genannt wird, hatte genau dieses im Blick. Es reicht nicht, den Ofen nur für Innen zu heizen. Der Ofen soll eine kalte Gesellschaft wärmen und einem miesen System einheizen. Viele friedlichen Revolutionäre hatten in der Kirche eine Wärme verspürt, die sie in das Land bringen wollten. Den damals Mächtigen, passte das nicht und manchen Christen war die Sache anfangs auch noch "zu heiß". Doch in diesen aufregenden Tagen waren die Kirchen die wahren Kraftwerke des Landes
Heute scheint ein solcher Aufschwung wieder nötig zu sein. Allerdings anders als 1989. Wenn er kommt, wird er auf große Demonstrationen verzichten können. Die Kraft des Gebetes, den Mut, den Glauben zu bezeugen, und ungewöhnliche Ideen wird er in unserer "EventLeistungsSpassgesellschaft" brauchen. Als Salz der Welt muss die Christenheit bereit sein, die Suppe der Gesellschaft zu würzen und auch mal zu versalzen.
Die Probleme heute sind andere als die der DDR-Zeit. Dabei bieten die heutigen Umstände deutlich mehr Freiräume und Chancen, die wir derzeit noch viel zu wenig nutzen. (N)Ostalgie ist ein Fluchtversuch, sich dieser heutigen Herausforderung zu entziehen.
Gott ist mit seiner Kirche durch die Zeiten unterwegs. Dabei hilft es, auf bestandene Stürme vergangener Zeiten zu schauen. Wichtig ist allerdings, das Schiff heute auf Kurs zu halten.
Das Ziel sind nicht in erster Linie volle Gottesdienste. Es geht um die Einladung an die Menschen, Mut zu haben, Gott zu begegnen und sich mit ihm auf den Weg zu machen. Dort, wo aus der Rückschau ein mutiges Vorwärts-Schauen wird, das offen dafür ist, andere mit ins Boot zu nehmen, kann Kirche ansteckend sein. Ermutigend ist: an manchen Orten passiert das schon.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 25.01.2007