Distanz zu den Kirchen wächst
Religionssoziologe Pollack: Moderne beschneidet das Feld der Religion
Soziologische Untersuchungen belegen seit mehr als 30 Jahren einen anhaltenden Trend der Distanzierung von der Kirche. Dies erläuterte der in Frankfurt (Oder) lehrende Soziologe Detlef Pollack beim Ökumenischen Forum der Theologischen Institute der TU Dresden. Zwar gebe es Unterschiede. So sei das Niveau der Religiosität in katholischen Ländern größer als in protestantischen, die kirchliche Beteiligung bei Gottesdiensten in skandinavischen Ländern niedriger, der Glaube an den christlichen Gott der Bibel immer noch weit häufi ger als außerkirchliche, esoterische Vorstellungen von einer höheren Macht. Doch die Tendenz zur Distanzierung überwiege. Die Zahl der regelmäßigen Kirchgänger habe in den letzten Jahrzehnten überall in Europa einen dramatischen Einbruch erlebt. In Deutschland hätten in den 1950er Jahren rund die Hälfte der katholischen Christen den Gottesdienst besucht, nach neuesten Untersuchungen seien es nur noch 15 Prozent, so Pollack. "Das ist ein regelrechter Erdrutsch."
Der Zulauf zu außerkirchlichen Formen der Religion kann nach seinen Erkenntnissen diesen Rückgang nicht wettmachen. Die Zahl derer, die sich esoterischen Spielarten zugewandt haben, sei sehr gering. "Auch wenn in den Medien gelegentlich von einem Boom außerchristlicher Religionen die Rede ist – hier handelt es sich um eine Minderheit. Aus den Kirchen sind Millionen ausgetreten. Der Aufschwung der neuen Religiosität ist nicht in der Lage, diese Verluste auszugleichen." Untersuchungen zeigten, dass aus der Kirche Ausgetretene in der Regel nicht anderswo nach einer neuen religiösen Orientierung suchten, sondern sich ihr Bezug zum Glauben generell verliere. Zu beobachten sei ferner: Je weniger klar die Gottesvorstellung in den außerkirchlichen Formen sei, desto geringere Bedeutung habe diese Vorstellung für das Leben des Einzelnen. Mithin führe der Formwandel des Religiösen zu seinem Bedeutungsverlust.
Untersuchungen zufolge nehme die Distanz zur Religion zu, je gebildeter Menschen seien. In Gesellschaften mit höherem Bruttosozialprodukt und größeren Wohlstand sei die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Religion an Bedeutung für die Menschen verliere. So kommt Professor Pollack zu dem Schluss: "Die Moderne zerstört die Religion nicht, aber sie beschneidet ihr Feld."
Im Unterschied zu Papst Benedikt XVI. sei er zudem nicht der Ansicht, Glaube und Vernunft seien ohne Weiteres zusammenzuführen. Vielmehr hält er dieses Verhältnis für "nicht spannungsfrei."
Tomas Gärtner
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 01.02.2007