Mehr als Romantik
In Cottbus treffen sich regelmäßig die "Christlichen Eisenbahner"
Welcher Junge hat nicht einmal davon geträumt, Lokführer zu werden? Und gelegentlich bekommen die Erwachsenen feuchte Augen, wenn sie voller Faszination zuschauen, wie sich die Züge in Bewegung setzen und, von unsichtbarer Hand geführt, sicher ihrem Ziel entgegensteuern. Für die rund 30 Frauen und Männer, die am 5. Februar zu ihrem regelmäßigen Treffen im Cottbuser St.-Johannes-Haus zusammenkamen, ist dieser Traum zum Beruf, zur Berufung geworden. Denn jeder, der hier sitzt, ist Eisenbahner aus Leidenschaft.
Die meisten von ihnen sind Rentner, aber längst nicht im Ruhestand. Mit Interesse verfolgen sie die neuesten Entwicklungen der Bahn, schauen auch manchmal wehmütig zurück, denn vieles, was heute als "modern" verkauft wird, ist nicht unbedingt besser. Dennoch ist der Kreis mehr als Eisenbahnerromantik. Und auch kein nostalgischer Klub, der nur auf die "guten alten Zeiten" zurückblickt. Vielmehr wollen die Frauen und Männer die christlichen Werte in die Gesellschaft tragen, dort, wo sie stehen. "Dieser Kreis besteht seit 1994", sagt Ulrich Constantin, der die Gruppe leitet. "Das ist heute unsere 113. offizielle Zusammenkunft". Dass man sich auf diese Zahl verlassen kann, ist Berufsehre. "Eisenbahner sind manchmal sehr penibel." Vor allem für die Rentner, so Constantin, seien die Treffen, die sonst im Pfarrhaus der Propsteigemeinde stattfinden, "psychologisch" sehr wichtig. Denn der alte Arbeitgeber kümmere sich "0" um seine einstigen Mitarbeiter. Anders sehe es mit der Gewerkschaft aus, die sich schon mal umschaut, wie es den alten Eisenbahnern geht. Unterstützt wird der Kreis auch von der Katholischen Arbeitnehmer- Bewegung (KAB) in Cottbus.
"Wichtig ist es für uns, die evangelischen Kollegen mit einzubeziehen", sagt Constantin. Dieses Treffen sei gewissermaßen ökumenisch gewachsen. So gehören die beiden Zwillingsschwestern Annemarie Jokschmann und Charlotte Jeserich dazu, die an diesem Tag in großer Runde ihren 70. Geburtstag feiern. Beide Frauen sind Eisenbahnerinnen mit Leib und Seele, haben Anfang der 1950er Jahr in Rostock gelernt und dort auch ihre Männer kennengelernt. Als Kinder haben sie eine wahre Odyssee durchgemacht. Sie wuchsen ohne ihre Mutter auf, die früh starb. "Bis vor kurzem wussten wir nicht, dass wir eigentlich katholisch getauft sind", sagt Frau Jeserich, die sich mit ihrer Schwester heute eher der evangelischen Kirche zugehörig fühlt. An den Treffen der Christlichen Eisenbahner nehmen sie mit Begeisterung teil, ein Kreis, in dem sich die Witwen pudelwohl fühlen. "Wir machen alles mit und sind immer dabei."
Meist haben die Damen und Herren einen Gast eingeladen, der ihnen ein Vortrag hält. Diesmal ist Caritasdirektor Rudolf Hupe an der Reihe, der über die Caritas- Arbeit in St. Petersburg berichtet. Die Christlichen Eisenbahner feiern zudem gemeinsame Wortgottesdienste oder unternehmen Ausflüge, denn zum alten Eisen zählt sich noch niemand.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 13.02.2007