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Bistum Magdeburg

Vielen geholfen

25 Jahre Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Katholischen Krankenhaus Halle

Dr. Johannes Piskorz, Chefarzt der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Halle - Am 23. Februar begeht die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle ihr 25-jähriges Bestehen. Der Tag des Herrn sprach mit dem Chefarzt der Einrichtung, Dr. Johannes Piskorz. Herr Chefarzt, 25 Jahre Sorge um die psychosomatische und psychische Gesundheit von Menschen im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle ist Anlass zu großer Freude, wie Sie selbst sagen. Inwiefern?
    Seit Ende der 60er Jahre rückten die psychischen Aspekte von Krankheit stärker in den Blick. Auch am St.-Elisabeth- Krankenhaus wurde darüber nachgedacht, wie dem engen Zusammenhang zwischen seelischer und körperlicher Gesundheit bei der Behandlung von Patienten besser Rechnung getragen werden kann. In der Universitäts-Nervenklinik und am Bezirkskrankenhaus Halle gab es entsprechende Abteilungen schon länger. 1982 gelang es dann dem Krankenhaus-Geschäftsführer Peter Willms, innerhalb einer Inneren Abteilung mit dem damaligen Chefarzt Horst Klette eine psychosomatische Spe- zialstation zu eröffnen, die unter eigenverantwortlicher psychotherapeutischer Leitung stand. Zirka ein Jahr früher hatte völlig unabhängig davon schon das Diakoniewerk hier in Halle in seinem Krankenhaus eine entsprechende Abteilung eingerichtet. Seitdem haben wir zahlreichen Patienten helfen können. Eine psychosomatische Station in einem Allgemein-Krankenhaus war übrigens damals im Westen wie im Osten eine Seltenheit.
Wie viele Menschen insgesamt haben Sie in Ihrer Klinik in den letzten 25 Jahren behandelt und wie viel Prozent von ihnen konnten Sie wirklich helfen?
    Stationär wurden bei uns zirka 2600 Patienten behandelt. Wir rechnen den internationalen Zahlen entsprechend damit, dass zwei Dritteln von ihnen bei uns deutlich geholfen werden konnte.
Wie sieht das Profil Ihrer Klinik heute aus?
    Heute wie damals haben wir 20 Betten und bieten stationäre Therapien an. Die enge Anbindung unserer Arbeit an die übrigen Abteilungen in Vergangenheit und Gegenwart war und ist eine Chance für die stete Weiterentwicklung der psychosomatischen Medizin in unserer Einrichtung. Heute sind wir selbstständige Klinik im Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara, bilden Fachärzte aus und sind – wie von Anfang an – fester Bestandteil der stationären Psychosomatik-Versorgung in der Region.
Noch vor wenigen Jahrzehnten war das Verhältnis zwischen christlichem Glauben und Psychotherapie, aber auch zwischen DDR-Marxismus und Psychotherapie gespannt. Da setzte die Einrichtung einer psychosomatischen Abteilung in einer katholischen Klinik doch sicher neue Akzente...
    Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, hatte Religion als Massenillusion betrachtet. Dementsprechend entwickelte sich ein gespanntes oder ein Nichtverhältnis zwischen Psychoanalyse und Religion. Doch hier vollzieht sich ein Wandel. Heute wird von beachtlichen Teilen der Psychoanalytiker der religiöse Glaube als eine wie auch immer geartete Realität gesehen. Die Zeiten, in denen Psychoanalytiker den Glauben als lediglich neurotisches Phänomen betrachteten, liegen wohl langsam hinter uns. Was die DDR-Zeit anbelangt, konnten wir mit wesentlichen tiefenpsychologischen Inhalten arbeiten und waren nie in ernsthafte Auseinandersetzungen verwickelt. In den 80er Jahren gab es in der DDR und damit übrigens erstmalig in Deutschland einen Abschluss als Facharzt für Psychotherapie.
Und wie wurde Ihre Station von den Verantwortlichen in der Kirche gesehen?
    Die Solidität unserer Arbeit ist nie in Zweifel gezogen worden. Ganz selbstverständlich haben von Anfang an zu unseren Patienten auch Menschen aus dem kirchlichen Dienst gehört. Wir haben nie Argwohn von Seiten der Oberen gespürt.
Ein belastetes Gottesbild kann zu psychischen Störungen führen. Haben Sie auch mit solchen Patienten zu tun?
    Patienten mit so genannten ekklesiogenen, also aus kirchlichem Einfluss heraus entstandenen Neurosen bin ich in den zurückliegenden 25 Jahren wenig begegnet. Christliche wie nichtchristliche Patienten haben ähnliche psychische Probleme. Dass spezielle ekklesiogene Erkankungen in der Vergangenheit selten waren, mag auch daran gelegen haben, dass in der DDR die Kirche nicht als Einengung, sondern meistens als Raum der Freiheit empfunden wurde. Heute ist übrigens durch Untersuchungen belegt, dass ganz im Gegenteil ein gesunder Glaube zur seelischen und gesamtgesundheitlichen Stabilisierung beiträgt.
Mit welchen Krankheitsbildern sind Sie heute besonders konfrontiert?
    Seit 1990 haben psychogene Essstörungen, also Mager- und Brechsucht, erheblich zugenommen. Zudem haben wir mit jüngeren Menschen bis 30 Jahren mit intrapsychischen Konflikten zu tun. Diese Patienten leiden an einer innerseelischen Strukturschwäche. Sie wissen nicht wohin mit sich, haben nicht selten schon mehrere Berufsausbildungen oder Studienfächer abgebrochen. Eine weitere bedeutende Gruppe unserer Klientel ist über 50 Jahre alt. Diese Patienten leiden an altersgruppentypischen Veränderungen, etwa am abrupten Weggang der Kinder von zu Hause, an Leistungsdruck oder auch Arbeitslosigkeit, an Ausgebranntsein.
Inwiefern sind die Krankheitsbilder gesellschaftlich mitbedingt? Kommt der Psychotherapie hier auch eine gesellschaftskritische Funktion zu?
    Beim rasanten Ansteigen von psychogenen Essstörungen nach 1990 drängt es sich förmlich auf, dass dies auch etwas mit der Gesellschaft, also etwa mit einem übersteigerten Schlankheitsideal zu tun hat. Und natürlich haben die hohen Anforderungen in der Berufswelt oder etwa auch Arbeitslosigkeit Einfluss auf die psychische und körperliche Gesundheit. Gegenüber dem Patienten geht es für den Therapeuten aber immer darum, nicht Gesellschaftskritik zu betreiben, sondern ihm zu helfen, seine je eigenen Ressourcen zu nutzen. Hinsichtlich der Gesamtgesellschaft wohnt der Psychotherapie aber durchaus eine emanzipatorische und gesellschaftskritische Tendenz und damit eine prophetische Aufgabe inne.
Dieser Aufgabe dient sicher auch das von Ihnen jährlich veranstaltete Hallenser Gespräch zu Psychotherapie, Religion und Naturwissenschaften...
    Wir wollen damit einen Raum anbieten, in dem ein multidisziplinärer Austausch möglich ist. Diesen braucht auch die Psychotherapie, denn nicht alle Phänomene sind rein tiefenpsychologisch erschöpfend zu erklären. Wir stehen mit vielen Fachkollegen in beruflichem Austausch. Das bietet uns die Chance, sie und viele darüber hinaus, die an entsprechenden Fragen interessiert sind, zum Gespräch über Themen aus Grenzbereichen einladen zukönnen.
Sie selbst sind engagierter Christ. Was wünschen Sie sich von kirchlicher Seite als Psychotherapeut?
    Die Kirche soll ihre Botschaft in dem Wissen und Selbstverständnis verkünden, dass das Evangelium seine befreiende Kraft entfalten will. Der Kirche kommt mit ihrer Botschaft eine lebensbeschützende Aufgabe zu. Sie kann dem Menschen in seinem in die Welt geworfen Sein Stütze sein und Richtung und Schutz geben, in dem der Mensch erfährt, dass er sein Schicksal nicht allein bewältigen muss, sondern jemand oder etwas über ihn hinaus Gehendes ihn begleitet. In diesem Sinne spielen auch die Riten der Kirche eine wichtige, stabilisierende Rolle. Die Kirche – und das sind alle Christen – braucht sich daher nicht hinter schützende Mauern zu verstecken.
Fragen: Eckhard Pohl
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 8 des 57. Jahrgangs (im Jahr 2007).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 26.02.2007

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