Nichts bleibt, wie es ist:
Kolping-Bildungswochenende in Jauernick
Jauernick - Eine alternde Bevölkerung, Staatsschulden, ein teures Gesundheitssystem. Kolpingmitglieder aus dem Bistum beschäftigten sich am vergangenen Wochenende mit dem Problemfall Deutschland.
Fritz Hähle gibt zu, dass er kein Spezialist für Sozialfragen ist. "Fraktionsvorsitzende müssen von allem nichts verstehen", meint der sächsische Politiker, der die CDU-Abgeordneten seit gut 13 Jahren im Dresdner Landtag anführt, scherzhaft. Und doch musste der promovierte Ingenieur den Kolpingmitgliedern, die am vergangenen Wochenende zu ihrem jährlichen Bildungswochenende im Jauernicker St.-Wenzeslaus- Stift zusammenkamen, Rede und Antwort stehen.
In seiner Analyse der deutschen Gesellschaft ist Hähle relativ schonungslos: Die Schulden der öffentlichen Haushalte sind so hoch wie nie, das Gesundheitssystem ist mehr als reformbedürftig und die Renten sind alles andere als sicher. Dennoch gehöre das deutsche System, das von Solidarität und Subsidiarität getragen sei, zu den "gerechtesten der Welt." Eine Herausforderung vor allem auch für Christen sei die Frage, "wie dieses gerechte System erhalten werden kann und wie ich mich selbst dabei einbringen kann." Bei seinen Lösungsansätzen orientiert sich Hähle am früheren sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU). Dass der für seine prophetischen Voraussagen zur Wirtschafts- und Rentenentwicklung in der alten Bundesrepublik politisch kaltgestellt wurde, stört ihm dabei wenig. Die Zeit hat Biedenkopf nun mal recht gegeben.
Besser wird die Situation dadurch freilich nicht: Die Deutschen hätten in den letzten 30 Jahren mehr in Spaß als in "Humankapital" (Biedenkopf) investiert. "Wenn das Geld, das in dieser Zeit für Urlaub und Freizeit draufging, für die Erziehung von Kindern ausgegeben worden wäre, hätten wir heute rund 13 Millionen Menschen mehr." Zudem beklagt der Politiker -wieder ganz im Sinne Biedenkopfs -, dass der Einzelne die komplexen politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht mehr durchschaut und die Politik kaum in der Lage ist, diese Zusammenhänge glaubhaft zu vermitteln. Ein weiteres Übel: Das Wohlstandsdenken hat sich in Deutschland derart gefestigt, dass dem kaum etwas entgegenzusetzen ist. Hähle: "Hat man ein bestimmtes Niveau erreicht, kann die Politik nicht mehr zurück". Und doch wird nichts bleiben, wie es ist. Der Bürger wird umdenken müssen: Zu seinem eigenen Schutz, aber auch als Beitrag für die Gesellschaft. Zum Beispiel das leidige Thema Rente. Was viele nicht mehr hören können, wird nach den Worten Hähles in Zukunft existenzentscheidend sein: Eigenverantwortung statt Versorgungsdenken, Eigeninitiative statt sich auf andere zu verlassen. "Ich sehe keine andere realistische Alternative".
So im Ganzen haben die Kolpingmitglieder diese Kröte allerdings nicht geschluckt. "Müsste das vorhandene Geld nicht besser und vor allem gerechter verteilt werden?", fragt jemand. "Müssten nicht die Reichen stärker zur Kasse gebeten werden?" Hähle wehrt sich gegen jede Form sozialistischer Restaurationsversuche. "Wir haben doch gesehen, dass das nicht funktioniert hat." Dass es in Zukunft sehr schmerzlich werden könnte, gibt der Politiker allerdings unumwunden zu. Jeder müsse sich fragen, was er zur Erneuerung der Gesellschaft beitragen könne.
Hähles Aussagen klingen ehrlich, wohlwollend -nur manchmal nicht ganz überzeugend. Man hat den Eindruck, dass die Politik sich verzettelt hat und der Ausweg nur mühsam gelingt -besonders in Zeiten großer Koalitionen, die von Kompromissen geprägt sind. Der Patient Deutschland braucht vor der Therapie die Diagnose.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 28.02.2007