"Gott ist zu nichts zu gebrauchen" (Zulehner):
Diskussion in Dresden über Religion in Europa
Dresden - "Wir brauchen keinen Gott" war eine hochkarätig besetzte Podiumdiskussion in Dresden überschrieben. Während manch anderer den Satz eher provokativ verstand, ist er für den Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner Ausdruck eigener Überzeugung.
Der Wiener Professor hält es für einen großen historischen Fehler der europäischen Christen, dass sie sich auf die Frage eingelassen haben, wozu Gott nützlich sei: Das psychische Wohlergehen des Einzelnen, die Begründung von Werten oder was auch immer man als Gebrauchswert Gottes definiere, sei ersetzbar und damit von Atheisten verwendbar für eine Argumentation gegen die Existenz Gottes.
Die Christen hätten Gott durch "Vernützlichung" in Misskredit gebracht und der Atheisierung europäischer Gesellschaften Vorschub geleistet, ist Zulehner überzeugt. "Ich brauche Gott nicht und antworte deshalb nicht auf die Frage, wozu ich ihn brauche", sagte er während der von der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen und dem katholischen Osteuropa-Hilfswerk Renovabis gemeinsam veranstalteten Podiumsdiskussion. Ihn selbst interessiere eher die Frage, ob Gott ihn brauche zur Vollendung seiner Heilsgeschichte.
Der Pastoraltheologe erinnerte an den österreichischen Kaisers Joseph II., der im 18. Jahrhundert alle Klöster schließen ließ, die sich nur der Anbetung widmeten und damit für den Staat ohne ersichtlichen Nutzen waren. Hintergrund sei sicherlich auch die politische Brisanz der Anbetung gewesen: Wer die Knie nur noch vor Gott beuge, beuge sie nicht mehr vor Menschen und sei daher politisch nicht vereinnahmbar.
Oberkirchenrätin Antje Heider- Rottwilm aus Hannover, Leiterin der Europa-Abteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland, sah in Zulehners Haltung die Gefahr, Menschen aus dem Blick zu verlieren, die Gott gerade in den Grenzsituationen ihres Lebens durchaus bräuchten. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften müssten auch für diese Menschen offen sein, die weder tiefgläubig noch atheistisch seien, forderte auch der ungarische Publizist György Konrád.
Sie müssten immer im Dialog bleiben. Dialog könne nicht zuletzt die Gefahr verringern, aus dem Glauben die Rechtfertigung für schlechtes Handeln herzuleiten, wie dies im Bosnienkrieg allenthalben geschehen sei.
Alle drei Diskussionspartner stimmten darin überein, dass gläubige Menschen sich fragen lassen müssen, ob ihr Glaube eine Kraft ist, die ausstrahlt und gesellschaftliche Veränderungen zum Positiven bewirkt. Nach einer Phase, in der zuweilen der diakonische Auftrag der Kirchen überbetont wurde, drohe man gegenwärtig in den anderen Straßengraben zu rasen, bemängelte Paul Zulehner. Dabei spiele sicher auch die Finanzlage der Kirchen eine Rolle, bemerkte er sarkastisch: "Anbetung ist natürlich billiger als Caritas."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.04.2007