Demokratie braucht Tugenden
Politiker-Empfang der Kirchen in Sachsen-Anhalt
Demokratie bedeutet nicht zuletzt Machtkontrolle, betonte der Berliner evangelische Theologe Richard Schröder vor rund 150 Teilnehmern des ökumenischen Empfangs der Kirchen Sachsen- Anhalts am 5. Juni in Magdeburg. Verantwortliche und Institutionen müssten zwar mit Machtbefugnissen ausgestattet sein, um etwas bewirken zu können, so Schröder, der unter anderem Verfassungsrichter des Landes Brandenburg ist. Doch wegen der mit der Macht verbundenen Gefahr, diese zu missbrauchen, sorge der demokratische Staat für unabhängige Kontrolle. Zudem garantiert die Demokratie jedem Einzelnen und jeder Minderheit unveräußerliche Grundrechte, erinnerte Schröder. Darüber hinaus jedoch "gilt das Mehrheitsprinzip, wobei Mehrheit und Wahrheit nicht immer dasselbe" und Demokratie durchaus "fehlerfreundlich" ist. Um so mehr gelte: "Freiheit und Demokratie hängen nicht zuerst von den Institutionen und von der Wirtschaftslage, sondern vom Handeln jedes einzelnen Bürgers ab und davon, was er von der Demokratie hält", so Schröder.
Im Folgenden zeigte der Hochschullehrer von der Humboldt- Universität anhand des Bürgers, amPolitiker, Journalisten und Lobbyisten auf, welche Tugenden in der Demokratie unverzichtbar sind. Dabei folgte er dem Gemeinsamen Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland "Demokratie braucht Tugenden" von 2006, an dem er selbst mit gearbeitet hat.
Politik braucht Vertrauensvorschuss
Vom Bürger muss verlangt werden können, dass er sich selbst um seine Angelegenheiten kümmert, und erst wenn er dies allein nicht kann, den Staat zur Hilfe ruft, so Schröder. Jeder muss seine Auffassungen einbringen und sich dafür zuvor entsprechend informieren. Und vom Bürger muss erwartet werden, dass er sich von den Abgeordneten vertreten lässt, da ein unmittelbares Mitreden aller nicht möglich ist. "Das bedeutet, dass der Bürger den gewählten Politikern ohne schwere Gründe nicht pauschal das Vertrauen entziehen darf." Nicht nur die Politiker, sondern auch die Politikverdrossenen selbst seien für das geringe Vertrauen in die Politik verantwortlich. Wer etwa aus Trotz eine Wahlentscheidung trifft, damit sich andere ärgern, so Schröder, handelt wie ein kleines Kind. Und wer sagt, die Partei, die ich wählen könnte, gibt es nicht, müsse sich für eine Partei entscheiden, die den eigenen Vorstellungen wenigstens entgegenkommt oder mit entsprechender Mehrheit selbst Verantwortung übernehmen. Geringe Wahlbeteiligung jedenfalls, so Schröder, fordert die Extremisten. Und: Wer meine, es ändere sich ja doch nichts, übersehe, in welch hohem Maße die Parteien von den Wählern abhängig seien.
Im Blick auf die politisch Verantwortlichen erinnerte Schröder daran, dass Mandatsträger neben dem Mehrheitswillen der Wähler auch das Gemeinwohl, die Anliegen kleiner Gruppen, Benachteiligter, der Menschen in den Armutsregionen der Welt und der kommenden Generationen berücksichtigen müssen. Zudem gehe es immer auch um ihre eigene politische Zukunft.
Journalisten hätten als sogenannte vierte Gewalt eine zentrale öffentliche Kontrollfunktion, so das Mitglied im Nationalen Ethikrat. Dabei müssten sie die Erwartungen der Verlage mit dem Ziel, dem Gemeinwohl zu dienen, in Einklang bringen und seien Versuchen nicht zuletzt aus der Politik ausgesetzt, sie für bestimmte Anliegen einzuspannen. Andererseits hätten die Journalisten aber keinen gesellschaftlichen Auftrag, selbst Politik zu machen, betonte Schröder. Nicht zu akzeptieren sei ein Mangel an Sorgfalt bei der Recherche zugunsten von schnellen Skandal-Meldungen.
Engagement der Kirchen für die Gesellschaft gewürdigt
Der Theologe ermahnte auch die Lobbyisten: Einzelbelange vorzutragen sei "legitim", zumal die Vertreter von Gruppeninteressen oft über umfangreiche Kenntnisse verfügten und manchmal auch Lösungsvorschläge mitbrächten. "Schlimm allerdings wird es, wenn die Einfl ussnahme heimlich geschieht und das Streben nach Sondervorteilen subtile Formen des Drucks annimmt".
Vor dem Vortrag Schröders hatte Sachsen-Anhalts Landtagspräsident Dieter Steinecke (CDU) das Schwinden von Wertvorstellungen und konkreten Haltungen wie Mitmenschlichkeit beklagt und das dem entgegengerichtete Engagement der Kirchen gewürdigt. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) räumte Hilfl osigkeit angesichts der großen Politikverdrossenheit und geringen Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt ein und warnte davor, die Demokratie als hohes Gut zu verspielen: "Demokratie ist eine Staatsform, die immer wieder neu gemeinsam errungen werden muss."
Links
"Demokratie braucht Tugenden" unter www.dbk.de/schriften/gemeinsame_texte/index.html
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 14.06.2007