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Anstoß

Beckenbauer, Weizsäcker und die Hedwigskathedrale

Von den Schwierigkeiten, Visionen zu haben

Guido Erbrich

"Wir stecken unsere ganze Energie in die Zukunft" können zurzeit Berlin-Besucher in riesigen Lettern an der Hedwigskathedrale lesen. Und es muss schon etwas ganz Besonderes darin los sein, wenn sogar Fußballkaiser Franz Beckenbauer überlebensgroß in die Kirche schaut. Sie sieht ja auch so aus, als ob ein gigantischer Fußball unter ihrer Kuppel versteckt ist. Da Fußball zu den offiziellen Ersatzreligionen zählt, ist der Platz nicht schlecht gewählt.

Natürlich wird es im finanziell angeschlagenen Erzbistum gute Gründe geben, die Außenflächen der Kathedralbaustelle einnahmeträchtig zu vermieten. Und der Spruch ist gar nicht so schlecht -für einen Energieversorger. Da bleibt aber die Frage: Was wäre eigentlich ein geeigneter Werbespruch für das "Energieunternehmen", das wirklich hinter den Mauern steckt: Wohin geht unsere kirchliche Energie? Welche Visionen haben wir für unsere Welt?

Dass wir unsere ganze Energie in die Zukunft legen, stimmt sicher nicht. Dafür lebt Kirche zu sehr von der Vergangenheit -und natürlich in der Gegenwart. Da wird sie ja auch gebraucht. Trotzdem darf die Frage erlaubt sein: Welche Vision von unserer Gesellschaft hat Kirche heute? Da sieht es zurzeit leider ein wenig mau aus. Altbundespräsident Friedrich von Weizäcker beklagte vor kurzem öffentlich, "dass die Kirchen ihre geistige Produktion in dieser Frage leider ein wenig eingestellt haben". Und, auch wenn das zum Widerspruch reizt, so richtig in drei Sätzen könnte ich es auch nicht zusammenfassen, wie wir als Kirche uns unsere Gesellschaft wünschen. Einfacher ist es da schon, zu sagen, was wir nicht wollen. Leichter ist es gegen etwas zu sein, als das konkret zu beschreiben, was gewünscht und erträumt wird.

Mal angenommen, die Außenwand der Hedwigskathedrale wäre mit Worten und Visionen für unsere Welt beschrieben, und Sie, liebe Leserin, lieber Leser könnten einen Satz beisteuern. Welcher wäre das? Hätten Sie einen parat? Einen Satz, der all die Sehnsüchte und Hoffnungen widergibt, die Sie haben? Einen Satz, der deutlich macht, wie unser kirchlicher Beitrag dafür aussehen kann? Da komme ich selber erst einmal ins Grübeln.

Vielleicht haben die Berliner ihre Kathedrale deswegen eine Weile den Werbeleuten überlassen, weil die visionären Kräfte ein wenig abhanden gekommen sind. Da bleibt es, den Heiligen Geist zu bitten, dass uns wieder was einfällt. Vielleicht nicht erst, wenn das Plakat wieder abgehängt wird.

Guido Erbrich, Bautzen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 29 des 57. Jahrgangs (im Jahr 2007).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 18.07.2007

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