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Anstoß

Eigenständig -aber in Gemeinschaft

Die Beginen gestern und heute

Susanne Schneider

In einer Zeit, in der die Individualisierung fortschreitet und die Zahl der Ein-Personen-Haushalte zunimmt, steigt gleichzeitig die Zahl der Wohnprojekte. So tun sich beispielsweise in vielen Städten Deutschlands Frauen zusammen, um in unterschiedlichen Generationen zusammen zu wohnen und sich gegenseitig zu helfen.

Diese Idee ist nicht neu: Im Mittelalter waren die Beginen solche Frauen. Manchmal war es der Wunsch, ein intensives religiöses Leben zu führen, der die Frauen zusammenbrachte. Manchmal war es auch die Idee des Sich-gegenseitig- Helfens und der Solidarität.

Die Beginen waren Frauen, die seit dem späten zwölften Jahrhundert die übliche Frauenrolle als Gattin und Mutter oder Nonne ablehnten und in Häusern, später in Beginenhöfen, zusammen wohnten. Diese Lebensform wählten sie nicht auf Lebenszeit, sondern für eine bestimmte Phase ihres Lebens. Ihr Hauptverbreitungsgebiet war Flandern, wo es heute dreizehn Beginenhöfe gibt, die zum Weltkulturerbe gehören.

Die Beginen waren wirtschaftlich unabhängig durch Stiftungen, durch ihr Vermögen und durch ihre Arbeitsleistung. Sie arbeiteten als Unternehmerinnen, Handwerkerinnen, waren zuständig für Geburtshilfe, für religiöse Unterweisung der Frauen und Mädchen, Sterbebegleitung und Bestattung. Außerdem erhielten viele den Auftrag, für Lebende und Verstorbene zu beten. Viele der bedeutendsten Mystikerinnen des 13. Jahrhunderts gehörten zu den Beginen, so zum Beispiel Mechthild von Magdeburg, die im Buch "Fließenden Licht der Gottheit" von ihren Gotteserfahrungen schrieb und sprachschöpferisch tätig war.

Die Beginen waren in den Städten, in denen sie lebten, hoch angesehen. Dies weckte den Neid der Zünfte. Auch die Kirche begegnete den Beginen mit Misstrauen. So waren die Beginen im Spätmittelalter Verfolgungen ausgesetzt. Die Bewegung versandete und wird erst in unseren Tagen wieder belebt.

Wenn sich heute manches Wohnprojekt an die Beginenbewegung anschließt, dann deswegen, weil die Gemeinschaftswohnprojekte das bieten, was vielen Menschen suchen: Freiheit und Geborgenheit. Heute gibt es bereits in 32 deutschen Städten Beginenhöfe. Da tun sich Menschen zusammen, die als Singles mit ihrem Ein-Personen-Haushalt unzufrieden sind und Gemeinschaft suchen.

Auf jeden Fall lehren uns die Beginen, dass es sich lohnt, seine Wohn- und Lebenssituation nicht als gegeben hinzunehmen, sondern gegebenenfalls zu verändern. Es gibt viele Alternativen -die Beginenbewegung ist eine davon.

Schwester Susanne Schneider, Missionarinnen Christi, Kontaktstelle Orientierung Leipzig

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 30 des 57. Jahrgangs (im Jahr 2007).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 26.07.2007

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