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Bistum Görlitz

Rhythmus war das Kirchenjahr

Eine Ausstellung, wie Menschen in Oberschlesien einst ihren Alltag meisterten und wie es heute ist

Görlitz (tb) - Das Schlesische Museum in Görlitz zeigt zurzeit zwei bemerkenswerte Fotoausstellungen, die die Vergangenheit wieder lebendig werden lassen und die Gegenwart beschreiben.

"Im Januar 45 haben meine Mutter und ich meinen von russischen Soldaten erschossenen Vater auf dem Schlitten nach Hause gezogen", erzählt Heinz Syrek aus Oberschlesien. Später fand der Junge, damals zwölf Jahre alt, einen Soldaten in einer verlassenen Flakstellung am Rande der Stadt. "Er war schon viele Tage tot", berichtet der 73-Jährige aus Gliwice/Gleiwitz. In Syreks Viertel gibt es noch heute mehrere Massengräber, die an die Kriegszeit erinnern. Der Elektriker im Ruhestand musste seit seinem 13. Lebensjahr arbeiten. Das Leben in Oberschlesien war nicht leicht: Zwölf Mal haben er und seine Frau einen Ausreiseantrag nach Deutschland gestellt. Jedesmal wurde er abgelehnt. "Von meinen zwei Brüdern wohnt einer in Tschechien und der andere in Deutschland" erzählt Syrek. "Meine Enkelin in Deutschland spricht Polnisch genauso gut wie Deutsch."

Nur eine von insgesamt acht Geschichten der Fotoausstellung "Begegnungen im Oberschlesischen Industriegebiet". Heinz Syrek hat sich den jungen Fotografen Anke Illing und Thomas Voßbeck aus Berlin anvertraut. So tat es auch der 42-jährige Steiger Marian Tiszbierek von der Zeche Bielschowitz aus Zabrze, dem früheren Hindenburg.

An Hand der acht Protagonisten spürten die Berliner Fotografen den Veränderungen im oberschlesischen Industrierevier seit der Wende und Polens Beitritt in die Europäische Union nach. Die Schau zeigt die Bio-grafien der Menschen, eingebettet in ihre Alltagsumgebung und die Industrie- und Wohnarchitektur. Es sind Momentaufnahmen eines Umstrukturierungsprozesses. Jeder trägt seine eigene Geschichte mit sich. Anke Illing und Thomas Voßberg haben es verstanden, diese Geschichten mit fotografischen Mitteln für den interessierten Betrachter zu entdecken. Die bemerkenswerte Ausstellung ist Teil der "europareportage" - ein langfristiges Projekt mit Schwerpunkt Ost- und Südosteuropa, die die Berliner Fotografen ins Leben riefen.

"Oberschlesien im Objektiv", so der Titel der zweiten Ausstellung, zeigt rund 110 Fotografien aus den 1860er bis 1930er Jahren, die vom Alltag und religiösen Leben der Oberschlesier erzählen. Für die Menschen besaßen der katholische Glaube, die Familie und die Arbeit einen hohen Stellenwert. Das Kirchenjahr gab den Lebensrhythmus vor. Die enge Bindung der Menschen zur Kirche und ihren Riten zeigte sich besonders bei den mehrwöchigen Festkreisen um Weihnachten und Ostern. Aber auch das Fronleichnamsfest und die Erstkommunionfeiern drücken den tiefen Glauben der Oberschlesier aus.

So präsentiert die Ausstellung historische Aufnahmen zum Thema "Krippengang zur Weihnachtszeit", "Mädchen mit Stecken beim Sommersingen" oder "Osterreiter in Benkowitz, Kreis Ratibor". Die harte Arbeit im oberschlesischen Industriegebiet beleuchtet die Ausstellung ebenso: Bergbau und Schwerindustrie geben sich die Hand. "Die Bergmanns-Andacht im Warteraum der BleyscharleyGrube in Birkenhain" berichtet über die Frömmigkeit der einfachen Bergleute und weist auf ihre gefährliche Arbeit unter Tage hin.

Das Archivmaterial stammt überwiegend aus dem reichen Gleiwitzer Bestand historischer Aufnahmen und wurde durch Fotografien aus der Sammlung des Schlesischen Museums ergänzt. Sie werden zum ersten Mal einem breiten Publikum in Polen und Deutschland vorgestellt. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit in Gleiwitz und dem Oberschlesischen Landesmuseum Ratingen.

Das Nebeneinander höchst widersprüchlicher Eindrücke hat die Fotografen als Entdecker immer fasziniert: Menschen voller Vitalität in ihrer Arbeits- und Glaubenswelt, mächtige Industrieanlagen, ländliche Idyllen neben ausgezehrten Industrielandschaften. Weitere Ausstellungsorte sind im Gespräch: Das Haus der Brandenburgisch- Preußischen Geschichte in Potsdam und das Museum für schlesische Landeskunde in Königswinter haben ihr Interesse angemeldet.


Informationen

Geöffnet Dienstag bis Sonntag: 10 bis 17 Uhr

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 34 des 57. Jahrgangs (im Jahr 2007).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 23.08.2007

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