Trost in bedrängten Tagen
Seit 60 Jahren pilgern die Christen des Bistums Görlitz nach Neuzelle
Wer heute nach Ruhe, Besinnung und Gottesnähe sucht, wird seine Schritte nicht in längst betretene Hallen lenken. Es sei denn, er weiß, dass sich die Geschichte im Gedränge der Zeit Orte geschaffen hat, deren Entlegenheit an eine Oase erinnern. Solch eine Oase ist die Stifts- und Wallfahrtskirche von Neuzelle. Eigentlich passt sie gar nicht so recht in die Landschaft. Es ist, als ob man sich in einer anderen Welt befindet. Weit dehnen sich zur Linken die Oder-auen, zur Rechten leuchten gelb Forsythien an den Steilhängen der Guben-Lieberoser Hochfläche -und mitten im Ort erhebt sich über den Dächern majestätisch die Klosterkirche St. Marien.
Es ist die einzige vollständig erhaltene Anlage der Zisterzienser in Brandenburg und zugleich das größte Barockdenkmal Ost- und Norddeutschlands: Reicher Figurenschmuck, großflächige Fresken, gedrehte marmorierte Säulen und reich verzierte Altäre lassen den Besucher kaum glauben, dass sich dahinter ein spätgotischer Backsteinbau aus dem 13. Jahrhundert verbirgt. Dieses einzigartige Bauwerk verdankt sich auch der Tatsache, dass die Abtei erst nach dem Wiener Kongress im Jahre 1817 säkularisiert wurde. Die Klosterkirche wurde aber schon damals der katholischen Gemeinde zur Nutzung übertragen, woran sich bis heute nichts geändert hat.
Aus dem Dornröschenschlaf erwacht
Nachdem durch einem verheerenden Brand die Klostergebäude in Neuzelle am 2. September 1892 weitgehend zerstört wurden, die Klosterkirche aber in wunderbarer Weise erhalten blieb, versuchte der Neuzeller Pfarrer Reinhold Jende eine Wallfahrtsbewegung zu initiieren. Er ließ sich aus Rom eine Kopie des Gnadenbildes der "Madonna von der immerwährenden Hilfe" kommen und weihen und stellte sie am Marienaltar auf. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg bekam der Ort die Bedeutung, die er heute für die Christen im Bistum Görlitz hat. Es waren vor allem die schlesischen Flüchtlinge, die Neuzelle aus seinem Dornröschenschlaf weckten. Im alten Erzbistum Breslau führte das niedergegangene Kloster samt Kirche eher ein Schattendasein. Es waren die großen Wallfahrtsorte wie der Annaberg oder Wartha, zu denen die schlesischen Katholiken pilgerten. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren diese jedoch versperrt.
Dem damaligen Jugendseelsorger und späteren Bischof von Schwerin Heinrich Theissing (1917 bis 1988) ist es zu verdanken, dass Neuzelle zu einem echten Wallfahrtsort wurde. Theissing wollte die alten Traditionen im deutschen Rest des Erzbistums Breslau erhalten und lud 1947 zur ersten Jugendwallfahrt nach Neuzelle ein. Die Görlitzerin Christa Gnatzy war zu dieser Zeit Diözesanhelferin in der Jugendseelsorge des Erzbischöflichen Amtes. "Wir mussten zunächst in den Gemeinden herumfahren und Neuzelle bei den Jugendgruppen bekannt machen", erinnert sie sich. "Es war ein Experiment, von dem wir nicht wussten, wie es ausgehen würde."
Dem damaligen Jugendseelsorger und späteren Bischof von Schwerin Heinrich Theissing (1917 bis 1988) ist es zu verdanken, dass Neuzelle zu einem echten Wallfahrtsort wurde. Theissing wollte die alten Traditionen im deutschen Rest des Erzbistums Breslau erhalten und lud 1947 zur ersten Jugendwallfahrt nach Neuzelle ein. Die Görlitzerin Christa Gnatzy war zu dieser Zeit Diözesanhelferin in der Jugendseelsorge des Erzbischöflichen Amtes. "Wir mussten zunächst in den Gemeinden herumfahren und Neuzelle bei den Jugendgruppen bekannt machen", erinnert sie sich. "Es war ein Experiment, von dem wir nicht wussten, wie es ausgehen würde."
Dies brachte gelegentlich auch Kuriositäten hervor. Der Jugendseelsorger und spätere Bischof Bernhard Huhn hatte 1958 einen Kanon zur Jugendwallfahrt komponiert: "Nacht über unserem Land, nirgends ein Licht! Brüder, reicht euch die Hand, fürchtet euch nicht!" Nach der Wallfahrt haben staatliche Stellen dem Neuzeller Pfarrer, Franz Langer, "Provokation" vorgeworfen, weil die Jugendlichen mit dem Kanon angeblich die schlechte Straßenbeleuchtung im Ort kritisiert hätten.
Viele Christen pilgern nach Neuzelle
Die Jugendlichen des heutigen Bistums Görlitz haben Neuzelle bald als ihren Wallfahrtsort angenommen. 1949 haben alle Pfarrjugendgruppen einen Mantel für die Gnadenmadonna gestickt, mit den Wallfahrtsopfern wurden das große Kreuz auf dem Klosterberg (Scheibe), Leuchter für den Marienaltar, der Kreuzweg auf der Scheibe und sogar der Bau der "Jugendkirche" in Lübbenau im Spreewald mit finanziert.
1948 schrieb der Görlitzer Tischler und Bildhauer Georg Schröter das berühmte "Neuzeller Wallfahrtslied", das die geistliche Situation der Zeit besonders ausdrückt. "Maria, Mutter, Friedenhort, wir kommen in bedrängten Tagen und bitten dich, ein Mutterwort für uns bei deinem Sohn zu sagen", heißt es in der ersten Strophe des Liedes.
Trost und Hoffnung haben nicht nur die Jugendlichen erfahren, denn heute ist Neuzelle Ziel vieler Pilger. Am 2. September kommen die Christen des Bistums Görlitz wieder an der Oder zusammen, um mit ihrem neuen Bischof, Konrad Zdarsa, den Wallfahrtsgottesdienst zu feiern. Eine eigene Ausstellung wird an die ersten und schwierigsten Jahre der Wallfahrt erinnern.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 23.08.2007