Doppelpunkt statt Schlusspunkt
Die Trauer in Hoffnung verwandeln
Unsere Nachbarin ist gestorben. "Ach, da ist sie ja jetzt beim kleinen Moritz", war die erste Reaktion meiner dreijährigen Tochter, als wir ihr es erzählten. Dabei machte sie alles andere als ein Gesicht von Traurigkeit. Beim kleinen Moritz geht es der Oma Nachbarin jetzt sicher gut, denn der kleine Moritz ist beim lieben Gott und da gibt es Windmühlen, Kuscheltiere und die Sonne mit Mond und Sternen.
Dabei kennt meine Tochter den kleinen Moritz gar nicht. Sie kennt nur sein Kindergrab auf dem Friedhof. Und das ist so lebensfroh gestaltet, dass überhaupt keine Angst vor dem Tod aufkommen kann. Für mich ist dieses Grab das stärkste Glaubenszeichen auf dem ganzen Friedhof. Es zeigt ganz deutlich: Hier kann einfach nicht Schluss sein. Bei aller Trauer die Eltern, Angehörige und Freunde sicher um ihr gestorbenes Kind haben, sie haben eine Kerze entzündet, wo normalerweise Wortlosigkeit und Traurigkeit herrschen.
Und dann kam vor einer Woche der Brief mit dem Sonnenblumenbild ins Haus. Auf der Rückseite das Bild von Claudia, einer jungen Frau. Sie hat gekämpft und verloren. Am Ende war der Krebs stärker. Gerade vor einem Jahr hatte sie geheiratet, sicher hat sie sich Kinder gewünscht. Und nun: Punkt, Aus, Schluss.
Doch auch hier, statt ohnmächtigem Schmerz ein Bild des Lebens. Mit farbenfroher Pracht schieben sich die Sonnenblumen über das schwarzumrandete Kuvert. Beim Grab des kleinen Moritz und beim Blumenbild von Claudia findet sich, aussagekräftiger als in den meisten Predigten, ein Kernpunkt unseres Glaubens. "Der Tod ist überwunden, wir werden sterben um zu leben."
Wir feiern dieses Geheimnis nicht nur zu Ostern und im Gottesdienst. In unserem ganzen Christsein sollen wir dieser Welt bekennen: Den Schlusspunkt gibt es nicht mehr. Gott hat diesen Schlusspunkt in einen Doppelpunkt verwandelt. Und erst nach dem Doppelpunkt wird es wirklich spannend. Am schönsten drückt es die schwedische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf aus: "Man soll nicht fragen: Was wird noch kommen? Sondern sagen: Ich bin gespannt, was Gott jetzt noch mit mir vorhat."
Es ist starker Glaube, den Tod von Kindern und jungen Menschen zu Hoffnungszeichen werden zu lassen. Und viel mehr als billiger Trost.
Die Dunkelheit, mit der wir durch die großen Frage von Lebens und Tod tappen, bleibt natürlich trotzdem. Aber ab und an erhellen Laternen den Weg. Das Grab vom kleinen Moritz und die Sonnenblumen von Claudia sind solche Leuchten. Sie schenken Vertrauen und Licht über den Tod hinaus.
Guido Erbrich,
Bautzen
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 23.08.2007