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"Das war immer ein Politikum"

Historiker und Zeitzeugen im Gespräch über Elisabeth-Jubiläen in der DDR

Der gefüllte Erfurter Domplatz am 22. September 1957.

Von Uwe Naumann - Erfurt. Über die "Bedeutung der Elisabethwallfahrten in der Zeit der DDR" sprach der Kirchenhistoriker Josef Pilvousek unter anderem mit Zeitzeugen am 6. September in der Erfurter Bildungsstätte St. Martin.

Zwei große Jubiläen prägten die Elisabethwallfahrten in der DDR: Der 750. Geburtstag der Thüringer Landgräfin 1957 sowie ihr 750. Todestag 1981 ließen die Treffen der Katholiken in Erfurt zu beispiellosen kirchlichen Großveranstaltungen mit mehreren zehntausend Besuchern werden. Dabei sei vor allem durch die zahlreichen ausländischen Gäste, aber auch durch das geschlossene Auftreten der katholischen Kirchenführung der DDR die Zugehörigkeit der Ortskirche zur Weltkirche deutlich geworden, sagte der Kirchenhistoriker Pilvousek über die Bedeutung. Beide Ereignisse seien "auf hohem Niveau vorbereitet und durchgeführt" worden und hätten den Teilnehmern "Heimat und Geborgenheit vermittelt".

Während allerdings 1957 noch versucht wurde, den Katholizismus auch als "innerdeutsche Klammer" zu nutzen -die Bitte um die deutsche Einheit sei ein zentraler Aspekt der Predigten gewesen -, fand die Elisabethwallfahrt 1981 in einem kirchenpolitisch festgesteckten Rahmen statt, wo sich katholische Kirche als "Kirche für die Menschen in der DDR" verstand, so Josef Pilvousek, der beide Veranstaltungen aus intensivem Aktenstudium kennt. Für Atmosphäre und persönliche Erinnerungen jenseits offizieller Darstellungen waren deshalb Zeitzeugen wichtig, die sich am Vortragsabend unter den etwa 30 Gästen in der Bildungsstätte St. Martin befanden. Gisela Kaiser zum Beispiel konnte sich noch gut an die Wallfahrt 1957 unter dem Thema "Vermächtnis und Sendung der heiligen Elisabeth heute" erinnern, zu der geschätzte 60 000 bis 80 000 Menschen nach Erfurt gekommen waren: "Es war ein Hochgefühl und eine Befreiung, diese Gemeinschaft zu erleben", sagte die 79-Jährige, deren Mann Joachim damals im Elisabethspiel auf den Erfurter Domstufen mitgewirkt habe.

Das Bild der Wallfahrer sei von vielen Flüchtlingen geprägt gewesen, die sich wie die Schlesier oder Sudeten in ihren Trachten kleideten, berichtete die Erfurterin. Unvergessen bleibe dem Ehepaar Kaiser, dass 1957 sogar der Apostolische Nuntius Alois Muench in der Stadt weilte: "Das war für uns eine Sensation".

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Karl Fürst zu Löwenstein, hatte dagegen keine Aufenthaltsgenehmigung für die DDR erhalten, führte Pilvousek einige Beispiele staatlicher Willkürmaßnahmen auf. Auch die Einschätzung staatlicher Beobachter, dass Julius Döpfner von allen Gästen die "aggressivste Predigt" in Erfurt gehalten habe, könnte dem Berliner Bischof wenige Monate später die Einreisegenehmigung in die DDR gekostet haben, vermutet der Historiker. Diese Elisabethwallfahrten waren "ein öffentliches Bekenntnis und Ausdruck resistenten Verhaltens", fasst Josef Pilvousek deren Bedeutung zusammen. "Das war immer ein Politikum."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 37 des 57. Jahrgangs (im Jahr 2007).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 12.09.2007

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