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Anstoß

Ab und an den Blickwinkel wechseln

Plötzlich zeigen sich Lösungswege

Frösche wollen geküsst werden, damit sie sich in Prinzen verwandeln. Zauberer verwandeln Fußbälle in Kan../../inchen und wieder zurück. Völlig klar: Wer Verwandlung hört, denkt an Zauberei und Märchen. Das ist ein Fehler. Verwandlung ist keine Zauberei. Verwandlung hat mit der Sicht auf die Wirklichkeit zu tun.

Ich erinnere mich an die Zeit, wo wir schwanger waren. Im medizinischen Sinn war das natürlich meine Frau, aber zum Kinderkriegen gehören zwei. Eine kleine Blickwinkelkorrektur hat damals meine ganze Wahrnehmung verwandelt.

Nachdem ich nun wusste, dass ich Vater werde, hatte ich mir artig Bücher über Schwangerschaft und Kinderkriegen angeschaut. Damit ich weiß, was ich alles nicht falsch machen soll, wenn das Kleine kommt.

Irgendwann gingen wir dann zum Ultraschall. Eine faszinierende Technik. Durch Schall sehen können. Das war das erste Mal, dass ich unser Kind zu Gesicht bekam. Seine Hände, seine Füße, sein Körper, aber auch sein Herz und seine Wirbelsäule. Es schwamm im Bauch der Mutter und war quicklebendig. Ich konnte dieses Wunder kaum fassen. Eigentlich noch versteckt im Mutterleib. Aber dorthin, wo kein Auge hinreicht, gelangte der Schall und zauberte Live-Bilder auf den Bildschirm.

In mir hat sich durch diese Bilder etwas verwandelt. Bisher dachte ich, das wir ein Kind bekommen. Plötzlich, wir Männer sind ja manchmal etwas begriffsstutzig, bekam ich mit, dass wir längst eines haben. Wenn sich so ein Wunderwesen am Kopf kratzt um Augenblicke später mit seinen kleinen Füßen zu strampeln, da bleibt der Mund vor Staunen offen stehen. Das noch nicht einmal geborene Kind verändert das eigene Leben. Dabei hat sich das Kind gar nicht verwandelt. Mein Blickwinkel war auf einmal ein anderer.

Es muss nicht immer Ultraschall sein. Oft genügt es, mal von einer anderen Seite auf die Dinge zu schauen, die mir in die Quere kommen. Plötzlich verwandeln sie sich und es zeigen sich Lösungswege. Manche Probleme lassen sich schon damit aus der Welt schaffen, dass man sie von einer anderen Seite anpackt.

Zauberer gehen den umgekehrten Weg. Sie lassen uns von einem denkbar ungünstigen Blickwinkel zuschauen. Beim Zaubern gehört das zum Geschäft. Aber sonst zwingt mich keiner, nur von dieser Seite zu gucken. Selbst was der genialste Zauberer zustande bringt, lässt sich von seinem (besseren) Standpunkt aus erklären. Nur um geküsste Fröschen kann man rumgehen, so oft man will. Frosch bleibt Frosch.

Guido Erbrich, Bautzen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 38 des 57. Jahrgangs (im Jahr 2007).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 19.09.2007

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