Gottes Nähe verändert
Merkmale echter christlicher Mystik / Ein Vortrag anlässlich des Mechthild-Gedenkjahres
"Echte mystische Erfahrungen verändern Menschen zum Guten hin", betont Andreas Schönfeld. "Ein Mystiker müht sich darum, ein friedfertigerer, anderen Menschen zugewandterer, insgesamt besserer Mensch zu werden", so der Kölner Jesuit bei einem Vortrag zum Mechthildjahr am 23. Oktober in Magdeburg und einen Tag später in Halle. Entscheidendes Kriterium für echte Mystik seien die aus ihr resultierenden Wirkungen. Hinzu komme: "Die von Gott geschenkten Trosterfahrungen müssen ins eigene Leben integriert werden. Echte Mystiker gehen nur sehr diskret mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit", so der Herausgeber der Zeitschrift für christliche Spiritualität "Geist und Leben".
Ein christlicher Mystiker sei ein Mensch, der sich in Christus mit Gott eins, in unmittelbarer Begegnung erlebt, so der Mystik-Experte. Dabei beruft sich Andreas Schönfeld auf den Mystiker Meister Eckhart (um 1260-1328) und dabei etwa auf sein Wort: "Unser Herz und das Seine sollen eins werden." Und er zitiert Mechthild von Magdeburg (1207-1282/94) mit dem Satz: "Ein jeder aber sollte in sich ein Christus sein." Schönfeld: "Mechthild vergisst sich selbst, empfi ndet sich als Nichts" in der mystischen Begegnung. Zwar bedürfe eine derartige Einheitserfahrung mit Gott der spirituellen Vorbereitung, doch sei sie letztlich Geschenk und Gnade. Darin seien sich die großen Theologen einig.
Christliche Mystik ist vom Glauben her durch Jesus Christus vermittelt und werde daran gemessen, egal ob es sich dabei um affektive Mystik wie die Brautmystik von Mechthild von Magdeburg oder intellektuell durchdrungene Wesensmystik wie bei Meister Eckhart handelt. Menschen mit echten mystischen Erfahrungen "werden gesünder, selbstbewusster, klarer". An manchen älteren Menschen, die ihr Leben gemeistert haben, könne man eine solche Grundklarheit und -gelassenheit erleben. In dem Maße, wie Menschen zu sich selbst, zu psychischer, aber auch berufl icher Identität fi nden, gelangen sie auch zu tieferer Gotteserfahrung und umgekehrt.
Für den Gründer des Jesuiten- Ordens und Mystiker Ignatius von Loyola (1491-1556), so Schönfeld, sei echte mystische Erfahrung "ohne geschöpfl iche Ursache" als "von Gott selbst gewirkt" erkennbar. Sie ist ein "Berührtsein von Gott, das geistliche Freude auslöst". Zum Mystiker können aber auch erfahrene "Trostlosigkeit" und "Dunkelheit der Seele" gehören. Mystik kann dort besonders authentisch werden, wo sich jemand Gott völlig anvertraut, auch wenn das Geschenk der Nähe Gottes fehlt, so der Jesuit Schönfeld.
Auf die Frage eines Zuhöres im Blick auf die kürzlich veröffentlichten Erfahrungen der Gottesferne bei Mutter Teresa sagt Schönfeld: Für ihn seien diese Erfahrungen eher ein Indiz für Mutter Teresas Heiligkeit. Bei ihr und Menschen des 20./21. Jahrhunderts überhaupt werde möglicherweise "der Glaubensakt selbst zur mystischen Erfahrung". Heutige Menschen lebten in einem anderen existentiellen Kontext als die zu Zeiten Mechthilds oder Eckharts. Heute stehe die Frage, ob Gott existiert oder nicht, viel stärker im Raum. "Mystisch begabte, sensible Menschen durchleiden dies in besonderer Intensität."
Wirklichen Mystikern geht es "nicht um das, was sich von der Alltagserfahrung abhebt", nennt Schönfeld ein weiteres Kriterium. Auditionen oder Visionen seien "nebensächliche Begleiterfahrungen". Wo solche Begleitumstände in den Vordergrund gerückt werden, sei Vorsicht geboten, so der Jesuit, der in diesem Zusammenhang etwa Therese Neumann von Konnersreuth erwähnt.
Kein genießendes In-sich- Ruhen oder Geheimwissen Schönfeld ging entsprechend des ihm gestellten Themas "Esotherik, Mystik, Mystizismus -was macht Mystik authentisch?" auch auf Fragen der Abgrenzung ein: Echte Mystik habe nichts zu tun mit einem genießenden Ruhen in sich selbst. Stattdessen lasse der echte Mystiker ihm geschenkte Tröstungen und Kräfte in seinen Dienst für die Menschen einfließen.
Vieles von dem, was heute mit Esotherik bezeichnet werde, so Schönfeld, sei im Kern das, was in der frühen christlichen Zeit die Strömungen der Gnosis (der Mensch kann sich durch Erkenntnis selbst erlösen) ausmachte. Esotherik spreche den Menschen die Möglichkeit zu, die für seine Erlösung notwendigen Erkenntnisse durch Meditation oder anderes Tun erreichen zu können. Nötig sei also ein Geheimwissen. Für christliche Mystik jedoch gelte dies nicht.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 07.11.2007