Reichtum nicht unwichtig
Neuer Erfurter Kirchenhistoriker Leemans bevorzugt integral-vielschichtige Geschichtsannäherung
Professor Leemans, Professor Pilvousek und Professor Manemann (v.l.n.r.)
Jede Bischofsnachfolge ist als Resultat eines komplexen Gewebes von Einflüssen und Faktoren zu betrachten. Dabei spielen die Regelungen, die bei Synoden getroffen wurden, nur eine begrenzte Rolle. Dies machte Johan Leemans in seiner Antrittsvorlseung deutlich. Dabei bezog sich der Professor für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Ostkirchenkunde vorwiegend auf Bischofsberufungen im vierten Jahrhundert, also in einer Zeit, in der die Bedeutung des Bischofsamtes stark zunahm.
Wichtiges Kriterium, wenn nicht sogar entscheidende Bedingung, war eine gute soziale und familiäre Herkunft des Kandidaten, erläuterte der Kirchenhistoriker, der nun den jahrelang vakanten Lehrstuhl an der Theologischen Fakultät Erfurt übernimmt. Vorgänger war Professor Gerhard Feige, der seit 1999 Weihbischof und seit 2005 Bischof von Magdeburg ist.
Im Kirchenrecht gebe es zwar keinerlei Bestimmungen über die soziale Herkunft eines Bischofs, so Leemans. In der Regel jedoch seien es Kandidaten aus dem Senatoren- adel der Oberschicht, noch häufiger Männer aus der Mittelklasse der curiales gewesen, die zum Bischof geweiht wurden. Grund war die Bildung, die diese Kandidaten mitbrachten, wobei das Kirchenrecht nur "Erfahrung in der Lektüre der Heiligen Schrift, ausreichende Reife und das richtige Alter" forderte. "An sich also reichten funktionelles Wissen, spirituelle Bildung und Führungsstärke", so Leemans. "Zugleich aber bevorzugte man nicht zuletzt wegen der Rolle des Bischofs als Patron Kandidaten, die über eine gute Erziehung und Bildung verfügten und ausreichende Kontakte und Gewandtheit besaßen, um der Stadt oder der Kirchengemeinde von Nutzen sein zu können. "Es ist daher nicht verwunderlich, dass Reichtum ein nicht unwichtiger Vorteil war."
Daneben spielten Familientraditionen eine wichtige Rolle. Es gab Familien, aus denen eine Reihe von Bischöfen stammten. Aber auch die Zugehörigkeit zu einer asketischen Bewegung war von Vorteil. Spirituell begabte Christen wurden oft aufgefordert, Bischof zu werden. Sagten sie zu, war es durchaus möglich, dass sie den eigentlich geforderten "cursus honorum", die geregelte Laufbahn vom Lektor über den Diakon zum Presbyter, übersprangen.
Die Bischöfe der Kirchenprovinz konnten als Wahlkollegium auf die Wahl Einfluss nehmen. In wichtigen Zentren redete der Kaiser mit. Manchmal mischte sich auch der scheidende Bischof ein.
Mit seinen Darlegungen wollte Professor Leemans auch deutlich machen, wie er seine theologische Teildisziplin auszuüben versucht, nämlich im Bewusstsein, dass sich die kirchenhistorischen Entwicklungen allmählich -ohne große Sprünge -Schritt für Schritt vollzogen haben, dass Geschichte durch eine große Komplexität zu berücksichtigender Aspekte geprägt wird und dass es meist eine Vielfalt von Entwicklungslinien gibt. Vor allem mit der Vielfalt werde sich schwer getan, "weil eine vielfältige Gleichzeitigkeit nur sehr schwer fassbar ist und ein bedeutendes Wissen voraussetzt und weil in dieser Vielfalt oft sehr schnell qualitative Unterscheidungen getroffen werden", so Leemans. Fakten, die im Nachhinein in die "normale" Entwicklung passen, würden positiv eingestuft, Fakten, die nicht passen, als weniger gelungen oder Ausnahmen beurteilt. Das ist der Grund dafür, so Leemans, "dass ich mich mit der Kirchen- und Theologiegeschichte und dem Studium des spätantiken Christentums so ganzheitlich wie möglich auseinandersetze und eine integrale Annäherung an die Geschichte versuche".
Der Belgier Johan Leemans (42) kommt von der Universität Leuven. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 14.11.2007