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Aus der Region

Havelberger feiern ihren Laurentius

Havelberg - Erstmalig nach Jahrhunderten wird in Havelberg Kirchweih gefeiert, und zwar gleich zweifach: am 10. August ist der Kirchweihtag der Stadtkirche St. Laurentius, am 16. August der Weihetag des Doms oberhalb der Stadt. Aus diesem Anlaß wird es zum Anfang und zum Abschluß eine feierliche Prozession von einer Kirche zur anderen geben. Das Besondere dabei: Beide Kirchen sind evangelisch und - obwohl insgesamt ökumenisch konzipiert - die Menge derer, die daran teilnehmen wird, wohl auch.

"So sensationell ist das gar nicht", meint der evangelische Pfarrer Ullrich Wolff. "Wenn vor wenigen Wochen Repräsentanten der evangelischen Kirche im Rheinland an der Heilig-Rock-Wallfahrt teilgenommen haben, dann scheint man wohl in verschiedenen Kreisen der evangelischen Kirche diesen Dingen gegenüber heute viel aufgeschlossener zu sein." Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man bei der Prozession auch eine Statue des Laurentius mitgeführt, der als Patron beide Kirchen miteinander verbindet. Doch das wäre manchem Gemeindekirchenratsmitglied zu weit gegangen, gescheitert ist es letztlich an praktischen Dingen: "Die Statue im Dom ist 1,50 Meter groß und zu schwer, außerdem hätten wir wohl kaum die Genehmigung vom Kultusministerium bekommen."

Die Veranstaltungen zwischen den beiden Prozessionen sind bestimmt vom Thema "Dienen in unserer Zei". Laurentius legt das nahe: Er hat im dritten Jahrhundert in Rom seiner Gemeinde gedient bis zum Martyrium. "Wir wollen deshalb hier in Havelberg danach fragen, wie das mit dem Dienen in unserer Gesellschaft aussieht, wo doch alle Welt anscheinend nur noch von verdienen sprich", sagt Pfarrer Wolff. In diesen Veranstaltungen wird es nicht nur um die gesellschaftlich unumstrittenen caritativen Dienste gehen. Wolff, der nicht nur Stadt- sondern auch Standortpfarrer ist, hat sich dafür eingesetzt, daß Dienste wie der Bundesgrenzschutz, Polizei und Bundeswehr aufs Programm kommen und hinterfragt werden. Rund um das offzielle Programm wird es eine Woche lang Begleitprogramm geben - mit Info-Ständen, Mittelalter-Markt und Würstchen-Bude. Udo J. Kirsten, einer der Initiatoren dieser Laurentiustage, betont, daß dies die ersten sind: Fortsetzungen sollen folgen.

Havelberg hat nach der Wende fast vollständig seine Industrie verloren. "Viele Leute sind hier in Lethargie verfallen", bedauert Kirsten, der die Stadt erst seit zwei Jahren kennt und vor einem halben Jahr von Hannover hierhergezogen ist. Laurentiustage als Spektakel, Tourismus-Magnet und damit Wirtschaftsfaktor? "Das natürlich auch, aber ich wünsche mir, daß sie auch zu einer kulturellen Identität der Leute in der Stadt beitragen", hält er dagegen. Er ist sich mit vielen Westdeutschen, die erstmalig in die Gegend kommen, einig: "Viele Leute hier wissen gar nicht, welche Kostbarkeiten sie vor der Haustür haben..

Damit ist nicht nur der Dom gemeint. Auch die Stadtkirche hat einiges zu bieten. Auffällig zum Beispiel der Altar. Die Rückwand zeigt über dem großen Altarbild ein kleineres halbrundes Bild: Zwei Engel tragen das Kreuz Christi und die Folterwerkzeuge vor den himmlischen Altar. "Der himmlische Vater schenkt daraufhin Jesus seinen lebenspendenden Geist, symbolisiert durch die Taube. Und dazu kann man nur sagen: Ehre sei Gott in der Höhe", zitiert der Pfarrer den Spruch in goldenen Lettern, der das Altarbild krönt. Das Ganze ist typisch orthodoxe Theologie. "Wir hatten hier in Preußen immer viele Russen, und denen waren die lutherischen und reformierten Kirchen zu nüchtern, um hier beten zu können." Der preußische König ließ daraufhin in einigen Kirchen die Ausstattung so verändern, daß sie den Russen entgegenkamen.

Die heutige Laurentius-Kirche ist ein gotischer Bau aus dem 15. Jahrhundert, die Gründung könnte jedoch älter sein als der Dom, meint Pfarrer Wolff. In die fast zehn Tonnen schwere Altarplatte sind Weihekreuze eingeritzt, die nicht die Form des Havelberger Bischofskreuzes haben. "Kein Bischof hätte das zugelassen, das kann eigentlich nur heißen, daß sie älter sind." Die Kreuzenden laufen in Lilienform aus. "Das könnte auf das Kreuz der Karolinger hinweisen", meint der Pfarrer, "vielleicht hat Kaiser Karl hier schon 800 oder 804 bei einem Aufenthalt diese Kirche gestiftet." Diese Zeit war geprägt von Auseinandersetzungen zwischen Germanen und Slawen, aber auch zwischen Christentum und Heidentum. Das Patronat des Bekenners Laurentius war wohl nicht zufällig gewählt.

Stephan Radig.

Die Prozession zur Stadtkirche am 10. August beginnt um 9 Uhr am Dom.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 32 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.08.1996

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