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Aus der Region

Das "Signal von Zeitz" blieb nicht ohne Wirkung

Vor 20 verbrannte sich öffentlich der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz

Am 18. August 1976, verbrannte sich der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz vor der Michaeliskirche in Zeitz. Brüsewitz wollte damit ein Zeichen setzen gegen die politischen Verhältnisse in der DDR und für eine stärkere Opposition seiner Kirche gegen das repressive System des Staates. Über die Fakten dieser Tat und ihre Voraussetzungen - die damals kaum veröffentlicht werden konnten - schreibt der Magdeburger Oberkirchenrat Dr. Harald Schultze vom Konsistorium der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen:

Es gibt Ereignisse, für die der Zeitabstand kaum eine Rolle spielt. Ich kann mich an diesen Tag erinnern, als ob es vorgestern gewesen wäre. Es war ein heißer August. Viele Menschen waren im Urlaub - auch aus den kirchlichen Leitungen. Im Konsistorium der Evangelischen Landeskirche der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg erreichte uns am Mittag jenes Tages der Anruf aus der Superintendentur Zeitz, der uns die schreckliche Tatsache mitteilte, daß Oskar Brüsewitz - im Talar - versucht habe, sich vor der Michaeliskirche in Zeitz zu verbrennen. Er habe Plakate aufgestellt, deren Inhalt nicht präzise übermittelt werden konnte. Er sei noch am Leben und unmittelbar nach Halle ins Bezirkskrankenhaus verbracht worden.

Am Nachmittag meldete sich der Staatssekretär für Kirchenfragen bei der DDR-Regierung, Hans Seigewasser, zum Besuch beim Bischof an. Bischof Krusche befand sich auf Dienstreise in Tansania und war für uns telefonisch nicht erreichbar. Sein Stellvertreter, Propst Friedrich-Wilhelm Bäumer, war im Hause. Als faktisch amtierender Bischof konnte er das Gespräch führen; auf ihm lag in den kommenden zwei Wochen der schwerste Teil der kirchlichen Verantwortung.

Daß der Staatssekretär sich zum Besuch beim Bischof anmeldete, war ganz ungewöhnlich. Erst jetzt können wir in den Akten nachlesen, wie rasch die Staatsführung auf die Nachricht aus Zeitz reagierte, Absprachen zwischen dem Zentralkomitee der SED und dem Staatssekretär für Kirchenfragen organisierte, so daß der Staatssekretär mit einer klaren Zielstellung nach Magdeburg fahren konnte. Er hatte Manfred Stolpe, den Leiter des Sekretariates des Bundes der Evangelischen Kirchen, gebeten, mit nach Magdeburg zu kommen. Es lag selbstverständlich im kirchlichen Interesse, daß noch am selben Tag auch zwischen uns Kontakt hergestellt wurde.

Seigewasser wollte Zeit gewinnen, um die Presseinformationen in die Hand zu bekommen und herunterzuspielen. Deshalb forderte er die Magdeburger Kirchenleitung dringlich auf, Oskar Brüsewitz zum Psychopathen zu erklären. Dann hätte man über den Inhalt dieser Plakate und über seine Tat nicht politisch diskutieren müssen. Befürchtete er doch, daß sich schnell ein Bündnis zwischen den westlichen Medien und Kirchenleuten in der DDR herstellen würde - mit scharfen Angriffen auf die DDR, in der es zu einer solchen Tat kommen konnte.

Was war der Hintergrund? Oskar Brüsewitz, 47 Jahre alt, aus Ostpreußen stammend, hatte 1969 in Rippicha bei Zeitz seine erste Pfarrstelle angetreten. Als Schuhmachermeister hatte er in Leipzig, Weißenfeld und Weißensee in Thüringen gearbeitet. Schon früh hatte er damit begonnen, volksmissionarisch aktiv zu werden. Er wollte seinem Herrn Jesus Christus dienen und sein Wort unter die Menschen bringen. Mit großer Beharrlichkeit und Energie hat er dann noch ein Direktstudium an der Predigerschule in Erfurt aufgenommen und abgeschlossen, um hauptamtlich als Pfarrer tätig sein zu können.

Und in dieser Pfarrstelle in Rippicha fiel er schnell auf durch seinen Charme und die phantasievollen Provokationen, durch die er im Kirchenkreis ins Gespräch kam. Auf einem Grundstück der Pfarrei richtete er einen Kinderspielplatz ein und postierte darauf die Losung: "Die auf Gott vertrauen, erhalten neue Kraft." Das stand gegenüber dem Schulneubau in Rippicha und wurde zum Stein des Anstoßes - nicht nur für den Lehrer, sondern für die Parteileitung des Kreises. Bei einem fröhlichen Kindersonntag gab es Kan../../inchen zu gewinnen. In einem brennend trockenen Sommer spannte Brüsewitz sein Pferdefuhrwerk an und fuhr damit in die Kreisstadt Zeitz. Die DDR-Losung "Ohne Gott und Sonnenschein fahren wir die Ernte ein" hatte ihn geärgert. Darum montierte er auf seinem Pferdefuhrwerk die Antwort "Ohne Regen, ohne Gott geht die ganze Welt bankrott!" Natürlich hat die Polizei in Zeitz das Fuhrwerk gestoppt und die Losung kassiert.

Meldungen gingen periodisch an den Rat des Bezirkes, der seinerseits der Magdeburger Kirchenleitung Vorwürfe machte, solche Provokationen eines Pfarrers zu dulden. Schon bei seinen Aktionen als Schuhmachermeister in Weißensee sinnierte das Ministerium für Staatssicherheit darüber, ob dieser Mann wohl geistig voll zurechnungsfähig sei. Das wiederholte sich in den Gesprächen in den 70er Jahren: Man wollte die kirchliche Bestätigung erfahren, daß dieser Mann verrückt sei. Diese Bestätigung kam aber nicht. Denn Brüsewitz war ein normaler Pfarrer.

Er hat an der DDR gelitten. Das Bildungsmonopol des Staates mit seiner strengen ideologischen Orientierung hatte seit 25 Jahren zu sich ständig wiederholenden Protesten auf örtlicher und zentraler Ebene durch die Kirche geführt. Noch im März 1975 hatte die Magdeburger Kirchenleitung mit einer großen Kanzelabkündigung diese Vorwürfe erneuert - ebenso wie die katholischen Bischöfe 1974 ihre Stimme gegen die Bildungspolitik erhoben hatten. Oskar Brüsewitz hat darunter gelitten, daß diese Proteste ohne Erfolg blieben. Auch darunter, daß viele Gemeindemitglieder auf seine Provokationen eher ängstlich reagierten. Wenn er sich laut über diesen kommunistischen Staat beschwerte, wurde es für sie problematisch, sich zu einem solchen Pfarrer zu bekennen.

Dabei ist Brüsewitz eigentlich nicht einsam gewesen. Im Kirchenkreis gab es Pfarrerinnen und Pfarrer, die zu ihm gehalten haben und sich seinen Fragen stellten. Gute Kontakte hatte er ebenfalls zu den katholischen Pfarrern des Kreises. Die Magdeburger Kirchenleitung hat jahrelang die Forderungen des Staates, ihn zu "disziplinieren", zurückgewiesen.

Solche Freundschaften bedeuteten aber nicht, daß man ihm in jedem Punkt recht geben konnte. Auf Provokationen ließ sich keine Gemeindearbeit bauen. Deshalb hat Propst Bäumer ihn am 23. Juli 1976 aufgesucht und ihm den Vorschlag der Kirchenleitung vorgetragen, daß er die Stelle wechseln und an einem anderen Ort einen neuen Anfang versuchen sollte. Bäumer berichtete später darüber: "In meiner Erinnerung blieb dieses Gespräch davon bestimmt, daß wir in aller Offenheit über die verschiedenen Zusammenhänge unseres Anliegens sprechen und dabei abwägen konnten, wie wir uns verhalten sollten. Sowohl die Verhältnisse in Gemeinde und Kirchenkreis als auch die Auseinandersetzungen ,mit den staatlichen Organen sind zur Sprache gekommen, natürlich auch die Forderung einer Versetzung, die der Rat des Bezirkes Halle an die Kirchenleitung gerichtet hatte ... Er versprach sich bald mit den in Aussicht genommenen Pfarrstellen zu befassen..

Wer konnte ahnen, daß Oskar Brüsewitz diese Empfehlung zum Pfarrstellenwechsel nicht verkraften würde? Über sein bitteres Vorhaben hat er mit niemand gesprochen. Heimlich hat er die Plakate hergestellt, die er am 18. August in Zeitz aufstellte: "Funkspruch an alle ... Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung an Schulen, an Kindern und Jugendlichen." Das Flammenzeichen, das Oskar Brüsewitz setzte, ist dann tatsächlich zu einem hochpolitischen Signal geworden. Die Kirchenleitung in Magdeburg hat wochenlang untereinander und mit ihren Kritikern darüber nachgedacht, was das alles bedeutet. Das ungeheure Echo, daß diese Tat auslöste, hatte gezeigt, daß es auch viele Vorwürfe gegen die Kirchenleitungen aus den eigenen Reihen gab. Die Kirchenleitung hat sich dem gestellt. Von ihrem Bruder Brüsewitz hat sie sich nicht distanziert, obwohl sie seine Tat nicht billigen konnte. Die Beschwerden wegen der Bildungspolitik des Staates hat sie gemeinsam mit allen Kirchen in der DDR in der Öffentlichkeit ausgesprochen.

Und dann war fast alles aus den Fugen geraten. Wolf Biermann hatte in seinem spektakulären Auftritt in der Nicolaikirche Prenzlau sein DDR-Redeverbot durchbrochen und sich mit Brüsewitz solidarisiert. Junge SED-Genossen machten eine Eingabe an Erich Honecker, in der sie sich von der Polemik des "Neuen Deutschlands" distanzierten. Das westdeutsche Presseecho war seit Wochen eskaliert. Nach Verhandlung im Politbüro erklärte dann Erich Honecker der ersten Sekretären der Bezirksleitungen der SED am 14. September 1976, daß es sich um "einen der größten konterrevolutionären Akte gegen die DDR" handle.

Die Strategie des Staatssekretärs für Kirchenfragen vom 18. August 1976 war nicht aufgegangen. Das Signal von Zeitz hatte eine Bewegung ausgelöst, die die DDR veränderte. Auch wenn der Staat mit harter Hand durchsetzen konnte, daß die kritischen Äußerungen der Kirchen in DDR-Zeitungen nirgends erscheinen und Wolf Biermann ausgebürgert wurde, hat er doch das kritische Bewußtsein, das neu angefacht worden war, nicht wieder auslöschen können.

Da hatte sich einer mit seinem Selbstopfer stellvertretend zum Sprecher gemacht für viele, die ihren Widerspruch nicht laut zu sagen wagten. Auch wenn zunächst scheinbar alles beim alten blieb, haben doch einzelne und Gruppen und Kirchenleitungen von verschiedenen Seiten aus immer wieder Forderungen erhoben, die um der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger in der DDR willen gegen jene Regierung geltend gemacht werden mußten.

(Der Tag des Herrn übernahm diesen Beitrag von:
"Glaube und Heimat", evang. Kirchenzeitung für Thüringen)

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 33 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.08.1996

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