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Aus der Region

Sekten: Die Invasion blieb aus

Erkenntnisse über Sekten in Ostdeutschland

Meißen / Leipzig (mh) - Der Erfolg, den sie sich selbst erhofft und den andere befürchtet hatten, ist ausgeblieben. Eine Invasion von Sekten im Osten Deutschlands hat es nach dem Fall der Mauer nicht gegeben. Doch Entwarnung kann es für den Beauftragen für Sekten- und Weltanschauungsfragen im Bistum Dresden-Meißen, den Meißner Kaplan Gerald Kluge, nicht geben: "Es gibt Problemfälle. Einzelne sind psychisch abhängig geworden oder haben finanzielle Probleme." Die Zahl von 140 Beratungen, die Gerald Kluge im vergangenen Jahr gemacht hat, ist Beleg dafür. Das Spektrum reicht dabei vom Telefongespräch bis zu mehrstündigen oder mehrmaligen Gesprächen.

Die klassischen Jugendsekten spielen nicht die Hauptrolle. Probleme bereiten Gerald Kluge eher der Satanismus und okkulte Praktiken, der Bereich des Psychomarktes und besonders die Zeugen Jehovas, die mit geschätzten 30 000 Mitgliedern die größte Gruppe im Osten Deutschlands darstellen. Gerald Kluge: "Die Zeugen Jehovas haben zwar das Image von harmlosen Spinnern. Sie sind aber mindestens so gefährlich wie etwa die Moon-Sekte. Die Zeugen Jehovas haben die für Sekten typischen Kennzeichen, etwa das Gottesbild: Nur wer dazugehört, wird gerettet, alle anderen werden vernichtet. Zeugen Jehowas dürfen keinen engeren Kontakt oder gar Freundschaften zu Nicht-Mitgliedern haben. Es kommt zu gegenseitiger Bespitzelung. Ehemalige Mitglieder klagen oft über den Mangel an Kontakten und Gemeinschaftsentzug, das heißt Zeugen Jehowas ist der Kontakt mit ehemaligen Mitgliedern verboten."

Neben Scientology (siehe Interview) gehören mit etwa je 100 geschätzten Mitgliedern die "Holic-Sekte" und das "Universelle Leben" zu den großen aktiven Gruppen in Sachsen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen für Gerald Kluge auch satanistische Phänomene. "Es sind vor allem Jugendliche, die mit derartigen Praktiken nach starken Erlebnissen oder nach Macht suchen oder protestieren wollen."

Daß es nicht zu der befürchteten Sekteninvasion gekommen ist, hat für Gerald Kluge vor allem zwei Gründe: "Warnung und Aufklärung haben sehr zeitig eingesetzt. Und die Menschen hatten und haben viele andere Probleme, vor allem die hohe Arbeitslosigkeit." Hinzu kommt die verbreitete A-Religiosität als Folge des DDR-Atheismus. Kaplan Kluge: "Daß der Wegfall der marxistischen Ideologie - wie 1990 von einigen befürchtet - förderlich für die Ausbreitung von Sekten war, kann ich nicht feststellen."

Auch wenn die großen Erfolge der Sekten ausgeblieben sind, eine Herausforderung für die Kirchen bleiben sie allemal, auch wenn man sich als Kirche "nicht nur um Sekten kümmern kann". Beratung und Hilfe, aber auch Aufklärung und Information bleiben wichtig.

Gerald Kluge ist zufrieden, wie sich die Kirche in den ostdeutschen Bistümern der Herausforderung gestellt hat. "In Mecklenburg, Vorpommern, Sachsen und Berlin, teilweise auch in Thüringen leisten Sektenbeauftragte, Arbeitskreise und Eltern- und Betroffeneninitiativen sehr gute Arbeit. Nicht zufriedenstellend ist die Situation in Sachsen-Anhalt." Positiv sei auch, daß das Thema jetzt in den Lehrplänen für den Religionsunterricht stehe.

Darüber hinaus müßten die Kirchen und konkret auch die Gemeinden überlegen, welche Angebote sie alternativ zu den Sekten machen. Gerald Kluge: "Wir brauchen mehr Offenheit für andere und Angebote, die keine großen Hemmschwellen aufbauen."

Kontaktadressen:

  • Kaplan Gerald Kluge, Wettinstraße 15, 01662 Meißen; Tel. u. Fax 0 35 21 / 46 96 14. gerkluge@aol.com
  • P. Klaus Funke, Oldenburger Str. 46, 10551 Berlin; Tel. 0 30 / 3 95 70 97 / 98;
  • Pfarrer Michael Sobania, Niels-Stensen-Weg 1, 23936 Grevesmühlen; Tel.u. Fax 0 38 81 / 23 24.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 34 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.08.1996

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