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Bistum Görlitz

Wir sind froh, noch gebraucht zu werden

Junge Senioren in Görlitz

Görlitz - "Man hat wieder eine Aufgabe und kann älteren Menschen Gutes tun", beschreibt Horst Siefert die Motivation für seine ehrenamtliche Tätigkeit. Siefert ist einer der elf Männer, die sich regelmäßig in der Caritaskreisstelle in Görlitz treffen. Diese hatte 1993 die Idee für ein Seniorenprojekt und fragte bei Vorruheständlern an. Schließlich kam es zu einem Treffen von acht Interessierten, blickt Bernd Schilling, Leiter der Caritas-Kreisstelle Görlitz, zurück.

Bei der Caritas trudelten Anfragen ein, ob nicht jemand handwerkliche Kleinigkeiten erledigen könnte, und die Vorruheständler waren zur Stelle. Unter der Regie von Horst Bersch, Vorsitzender und "gute Seele" der Einrichtung, wurde mit der selbstgegebenen Satzung der Seniorenhof aus der Taufe gehoben. Damit steht dieser unter dem Dach der Caritas, ist aber in sich selbständig.

Angeboten werden kurze Fahrdienste oder kleine Hilfen im Haushalt. Den größten Teil bilden die handwerklichen Arbeiten. "Mal wird eine Lampe aufgehängt, mal eine Küchenecke tapeziert", erklärt Andreas Kuhn vom Fachdienst allgemeine soziale Beratung, der die Anfragen an den Seniorenhof weitervermittelt. Der Bedarf ist groß, denn es gibt immer mehr alte Menschen, die vereinsamt niemanden mehr haben, der ihnen bei kleinen Dingen zur Hand geht. Rund 350 Stunden ehrenamtlicher Arbeit wurden im vergangenen Jahr geleistet. Dabei sind es nicht nur die alten Menschen, denen geholfen wird, sondern auch sozial Schwache und Behinderte.

Gerade in Görlitz mit seinen historischen Straßenzügen wird viel saniert und so muß auch manch älterer Mensch noch einmal umziehen. Auf die begleitenden Arbeiten beim Umzug -vom Packen der Kartons bis zum Wiederaufhängen der Bilder -hat sich der Seniorenhof unter anderem spezialisiert. "Das schönste Erlebnis war, als wir einem Kollegen, der nur noch liegen kann, und seiner Frau beim Umzug in eine Wohnanlage für Körperbehinderte helfen konnten", erinnert sich Horst Siefert.

Nach der Gründung des Seniorenhofes haben sich die Männer im Haus der Caritas-Kreisstelle zwei Kellerräume hergerichtet, in denen sie sich einmal im Monat treffen, um die neuen Aufgaben zu verteilen. Hierbei gilt: Jeder nach seinen Möglichkeiten, aber auch jeder nach seinen Fähigkeiten. So werden die anfallenden Arbeiten wenn möglich nach Berufsgruppen aufgeteilt. Im hinteren Raum befindet sich eine Werkstatt, die die Senioren selbst zusammengestellt haben. Größere Anschaffungen, wie zum Beispiel eine Kreissäge, werden von Spenden getätigt.

Doch die Spenden sind nicht die einzige Einnahmequelle. Einigen konnte in der Anfangsphase des Seniorenhofes die Arbeit durch die "Aktion 55" vergütet werden. Jetzt, da die Männer fast alle Rentner sind, wird ihre Arbeit durch die Robert-Bosch-Stiftung unterstützt. Die Liste mit den Vergütungen der verschiedenen Arbeiten haben die Männer selbst erstellt. "Wenn jemand Kohlen hochgetragen hat, bekommt er 1,50 Mark, damit er die Straßenbahnfahrkarte nicht noch selbst kaufen muß", erklärt Siefert. "Bei schweren Arbeiten gibt es etwas mehr zum Beispiel für die starke Abnutzung der Arbeitskleidung." Von Lohn kann man aber wohl kaum sprechen, höchstens von Aufwandsentschädigung.

Das Geld aber steht nicht im Vordergrund, sondern das Ehrenamt. "Wir sind froh, daß wir noch gebraucht werden", sagt Siegfried Preißler. Auch der 63jährige ist von Anfang an dabei und begreift das Amt wörtlich als ein "Amt der Ehre". Und als Christen - die meisten Männer sind katholisch - begreifen sie ihre Arbeit als Dienst am Nächsten.

Mit den Jahren ist eine starke Gemeinschaft erwachsen, die auch bis in die Freizeit hineinreicht. "Als mit dem Vorruhestand plötzlich alles wegbrach, stand ich vor einem großen Loch", erinnert sich der gelernte Elektriker Preißler. Diese Erfahrung teilt er mit den anderen Mitgliedern des Seniorenhofes. Die gemeinsamen Aktivitäten haben ihnen wieder Halt und Selbstachtung gegeben.

Für die Caritas in Görlitz, die dieses Jahr ihr 75jähriges Bestehen feiert, ist der Seniorenhof eine echte Bereicherung und Hilfe. Andreas Kuhn meint: "Ich wüßte sonst nicht, wie ich den Leuten, die um handwerkliche Hilfe bitten, weiterhelfen sollte."

Carmen Rotterdam.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 34 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.08.1996

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