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Bistum Magdeburg

Traditioneller Glaube in einem Land im Umbruch

Magdeburger in Litauen

Magdeburg / Halle (tdh) - Eigentlich sind sie nichts besonderes mehr, die Fahrten, die der Magdeburger Seelsorgeamtsleiter Dr. Gerhard Nachtwei zusammen mit meist jungen Leuten aus dem Bistum jedes Jahr nach Litauen unternimmt. Das Ziel: das Magdeburger Partnerbistum Kaisiadorys. In diesem Jahr war die Fahrt ein wenig anders: Alles fing damit an, daß sich die Abfahrt wegen eines defekten Autos um fünf Stunden verschob, wenig später Rat Nachtwei bei der Grenzkontrolle seine Aktentasche mit allen Papieren stehen ließ (Gott sei Dank, fand sie sich wieder an!), und in Litauen jemand versuchte, den nagelneuen Kleinbus zu stehlen.

Doch diese aufregenden Äußerlichkeiten stellten das Anliegen der Fahrt nicht in Frage: Hilfe für Kinder und kirchliche Mitarbeiter in der Kinderpastoral im Magdeburger Partnerbis-tum. Unter diesem Motto stand die Fahrt. Stefan Piskorz, Student aus Halle, der schon mehrere Male dabei war: "Es geht dabei nicht nur um materielle Hilfe" - auch wenn immer wieder Hilfsgüter mitgenommen werden. In diesem Jahr im Gepäck: Kleidung, Schuhe, Spielzeug, Medikamente, medizinische Geräte und zwei Rollstühle. Wichtiger aber ist die Hilfe in der Weiterbildung der litauischen Katecheten oder für Priester und Laienmitarbeiter zum Thema Ehevorbereitung und Ehebegleitung.

Stefan Piskorz: "Die Katechese in Litauen ist noch sehr von alten Vorstellungen geprägt. Die Schüler sitzen artig da, der Lehrer erzählt." Bei einer der letzten Reisen hatten die Magdeburger beispielsweise versucht, eine Katechese in der Kirche zu machen. Das war so gut wie unmöglich, weil die Kinder sich kaum trauten, in der Kirche zu sprechen. Moderne katechetische Methoden, der Einsatz von Hilfsmitteln - das versuchen die Magdeburger ihren litauischen Partnern zu vermitteln. Stefan Piskorz: "Wir versuchen zu zeigen, daß und wie es anders geht..

"Wunder" hieß in diesem Jahr das Thema der Katechesen. Wir haben die Hochzeit zu Kana als Beispiel gewählt", erzählt Stefan Piskorz. Mit den Kindern wurde das Evangelium gespielt. Jeder bekam eine Rolle und der Bräutigam eröffnete das Fest. Dann haben alle zusammen getanzt. Als schließlich die Szene an der Reihe war, in der Jesus zu seiner Mutter sagt: "Meine Zeit ist noch nicht gekommen", fragten die Magdeburger die litauischen Kinder und Katecheten, wie sie an der Stelle von Maria darauf reagieren würden. "Vielleicht würde ich ein bißchen mit ihm schimpfen", meinte ein Mädchen. Die Katechetin aber sagte: "Ich wäre stolz darauf, daß Jesus überhaupt mit mir spricht..

Und als Rat Nachtwei eine Katechese über das "Wunder am See" hielt und darüber sprach, daß jeder Mensch - auch ein Bischof oder selbst der Papst - einmal in ein tiefes Loch fallen könnten, und Jesus dann hinter ihm stehe, zeigten die Augen der Kinder und der Katecheten fast so etwas wie Erschütterung: Wie kann der Papst in ein tiefes Loch fallen.

Litauen ist ein katholisches Land, das noch sehr stark von Traditionen geprägt ist. Bei den kirchlichen Feiern, die die Magdeburger miterlebten, wie die Firmung in Dobingei oder die Einweihung der großen Kirche in Elektreinai, war das immer wieder zu spüren. Das hatte für die Magdeburger auch viele schöne Erlebnisse zur Folge. Aber alte Traditionen und Vorstellungen prägen auch den persönlichen Glauben des einzelnen.

Die Beispiele, die Stefan Piskorz erzählt, zeigen das. Doch ist es gut, das was die vielen Jahre des Kommunismus getragen hat, jetzt kaputtzumachen und den Litauern ein "modernes, westliches Verständnis von Glauben und Kirche" zu bringen? Das wollen wir nicht. Aber Litauen hat sich als Land in Richtung Westen orientiert.

"Das wird auch Folgen für den Glauben des einzelnen und für die Kirche als Ganze haben. Sie muß sich darauf einrichten, sonst rennen ihr die Leute weg", meint Stefan Piskorz.

Bischof Juozas Matulaitis ist dankbar für die Hilfe aus Magdeburg. Denn von den Magdeburgern könnten die Christen in seinem Bistum lernen, wie man auch in einer modernen, säkularisierten und pluralistischen Gesellschaft christlich leben kann.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 37 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.09.1996

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