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Aus der Region

Zum Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen

Interview mit Bischof Frantisek Radkovsky

Das Bistum Pilsen ist neben dem Bistum Ostrava die jüngste Diözese in Tschechien. Pilsen wurde 1993 aus Teilen der Diözesen Leitmeritz und Budweis gebildet. Ziel war es unter anderem, eine kleinere Struktur zu schaffen, um die dringend notwendige pastorale Arbeit in den Gemeinden zu erleichtern. Aus Anlaß des grenzüberschreitenden Kirchentages in Eger (Cheb) am 29. September sprach der Tag des Herrn in Pilsen mit Bischof Frantisek Radkovsky, der die Diözese von Anfang an leitet.

Das Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen ist belastet, die Versöhnung vielfach blockiert. Wie und wo sehen sie Chancen, daß sich beide Völker näherkommen.
Es ist zuerst eine große Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Ich persönlich sehe in der Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland ein Modell, was unseren beiden Völkern helfen kann, zueinander zu finden. Wichtig ist dabei besonders, daß wir zu einem gemeinsamen Geschichtsbild kommen. Tschechen und Deutsche sollen keine geschichtliche Anschauung vermittelt bekommen, die nicht voll der Wahrheit entspricht und die Völker weiter trennt-
Eine große Aufgabe fällt den Medien zu, die große Verantwortung für den Prozeß der Annäherung haben. Ein Beispiel: Im deutsch-französischen Bereich gibt es inzwischen einen gemeinsamen Fernsehsender, das ist für uns noch Zukunftsmusik. Aber ich meine, daß die Fernsehsender ARD und ZDF sowie unser staatliches Fernsehen einige Sendungen gemeinsam in beiden Sprachen machen können. Aber es geht nicht nur um große Projekte, sondern auch um viele Initiativen. Das kann eine Begegnung auf staatlicher Ebene sein, wie kürzlich, als sich unsere beiden Präsidenten Vaclav Havel und Roman Herzog mit Jugendlichen trafen, oder auch Begegnungen der Pfarr- und Ortsgemeinden. Es geht um Wahrhaftigkeit auf beiden Seiten. Besonders bei den Kindern sollte angefangen werden.
Worin sehen sie die Ursachen für die Mißverständnisse und Probleme, die eine Annäherung weiterhin erschweren.
Bei uns, wie auch in Deutschland gibt es nach wie vor noch immer große Vorurteile. Sie stammen zum Teil aus dem vorigen Jahrhundert wie Antislawismus und Antigermanismus. Im Zuge der Ereignisse von 1918 bis nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie verstärkt und von den Kommunisten weiter gepflegt. Der Grund dafür ist einfach: Diktaturen brauchen einen Feind, um sich selbst zu erhalten. Für die Kommunisten waren es immer die Kapitalisten und besonders die deutschen, die zurückkommen wollen, um alles an sich zu ziehen. Diese Bedrohung aber auch leidvolle Erfahrungen haben die Menschen noch heute in den Köpfen. Die Überwindung der Angst braucht Zeit, sie gelingt nicht mit Diskussionen sondern immer nur mit persönlichen Kontakten.
Welche Erfahrungen haben sie dabei als Bischof einer Grenzdiözese im kirchlichen Bereich gemacht.
In der Kirche sind alle zu Hause, Deutsche und Tschechen. Fast jedes Wochenende halte ich aus den verschiedensten Anlässen einen zweisprachigen Gottesdienst. Oft werden Kirchen wieder neu eingeweiht, die mit Hilfe von einst in Böhmen ansässigen Deutschen restauriert wurden. Diese Feiern sind Gelegenheiten, einander näherzukommen. So finden viele Deutsche als Gast Aufnahme in den Häusern, wo sie einmal gelebt haben. Unsere Leute müssen einfach die Erfahrung machen, daß sich Tschechen und Deutsche nicht gegenseitig fressen müssen, sondern miteinander leben können.
Um es konkret zu sagen: Verträge zwischen beiden Staaten sind wichtig, politische Schritte auch, aber ohne die Verknüpfung der einfachen Menschen an der Basis hat alles keinen Zweck, dann sind es nur Papiere.
Was bedeutet für einen tschechischen Bischof das gemeinsame Europa.
Wir müssen wissen, daß Europa in der ganzen Geschichte immer ein gemeinsames Haus war. Diese engen Verbundenheiten in Geschichte, Glaube und Kultur müssen neu vermittelt werden. Die unselige und man kann durchaus sagen blöde Teilung und Orientierung auf die Nationen, wie sie im letzten Jahrhundert entstand, sehe ich als sehr künstlich an. Sie muß überwunden werden. Eine große Schwierigkeit ist dabei die Sprachbarriere. Im Mittelalter war das Latein die verbindende Sprache. Heute ist es in Mitteleuropa sicher Deutsch und für die ganze Welt Englisch.
Haben die tschechischen Christen noch heute besondere Kontakte in die ehemalige DDR.
Ich meine, die Erfahrung der kommunistischen Zeit haben Christen aus der DDR und der damaligen Tschechoslowakei einander nähergebracht. Das ist auch heute noch so. Um Bestehendes zu erweitern, liegt es an den Orten und Gemeinden, wie intensiv neue Kontakte geknüpft werden können. Da kann ein Bischof nichts verordnen, sondern nur anregen. Es ist und bleibt Sache der Basis.
Ein gutes Beispiel der jüngsten Zeit ist Bärenstein, von wo aus Pfarrer Klaus Orland (heute Leipzig-Schönefeld) die Gemeinde im böhmischen Weipert mitbetreute. Dadurch kamen sich auch die Christen näher.
In den neuen Bundesländern sind katholische Christen eine Minderheit. Wie verhält es sich im Bistum Pilsen.
Die kirchliche Situation in Westböhmen ist sehr schwierig. Ich habe beispielsweise 320 Pfarreien aber nur 75 Priester. Auch die Zahl der katholischen Christen ist hier wesentlich geringer als beispielsweise in der Diözese Olmütz. In Pilsen gehen rund 12 000 Menschen jede Woche zum Gottesdienst, im mährischen Olmütz sind es rund 200 000.
Woran liegt das.
Mähren ist bereits geschichtlich wesentlich katholischer geprägt. Zu uns kamen nach der zwangsweisen Aussiedlung der deutschen Bevölkerung Menschen, die zwar aus gläubigen Regionen kamen, aber von einem auf den anderen Tag von ihren Wurzeln abgeschnitten waren. So war ihre Beständigkeit im Glauben schlagartig geschwächt und unter dem kommunistischen Druck hielten die meisten nicht stand. Es gab aber auch schon zu Anfang des Jahrhunderts in Böhmen Gegenden, wo die Religiösität im Zuge der Industrialisierung sehr schwach geworden war. All dies führte dazu, daß wir heute besonders in Pilsen aber auch in Leitmeritz in einer Diaspora leben.
Welche Alternativen und Ideen kann die Kirche in dieser Situation anbieten.
Wir müssen die Pastoralstrategie total verändern. Eine Aufgabe, nicht nur für Tschechien, sondern für ganz Europa. Dabei ist die katholische Kirche nicht allein gefordert, sondern alle Großkirchen. Herkömmliche Glaubensunterweisungen genügen nicht mehr. Die Neuevangelisation muß ganz gründlich, wie an einem Anfang, begonnen werden. Wir als Kirche dürfen nicht warten, bis die Menschen zu uns kommen, sondern wir müssen zu den Menschen gehen. Dabei können sich nicht nur die Priester engagieren. Selbst wenn ich als Bischof genügend Priester hätte, würde es für diese Aufgabe nicht reichen. Wir brauchen jeden lebendigen Christen.
Haben sie bereits konkrete Vorstellungen und Projekte.
Ich denke an Basisgemeinden, wo sich die Menschen treffen, um gemeinsam ihren Glauben zu leben und damit ein attraktives Zeugnis für den lebendigen Gott ablegen. Dies soll nicht beschränkt bleiben auf Seelsorgestellen, wo kein Priester ist, sondern es ist möglich, daß sich eine Gemeinde aus vielen Basisgruppen zusammensetzt. Zum Beispiel Bibel- und Gebetskreise oder Gruppen, die zu den Menschen gehen, um den Glauben weiterzutragen. Eine wichtige Hilfe sind für mich dabei die geistlichen Gemeinschaften, wie Fokolare, Charismatische Erneuerungsbewegung und andere. Sie gehen in die Pfarreien, um in Absprache mit dem Priester Möglichkeiten des Glaubenslebens in der heutigen Welt aufzuzeigen. Ein Beispiel sind die charismatischen Pfarr-Erneuerungen, die ganz gut angelaufen sind. Angeregt wird das persönliche Gebet, die tägliche Lesung aus der Bibel oder der Erfahrungsaustausch aus dem eigenen Glaubensleben. Viele der Menschen, die dabei vom Glauben ergriffen wurden, engagieren sich später selbst für seine Weitergabe. Wir bieten Kurse an, um ihnen zu helfen, sich für eine gemeinschaftliche Spiritualität der Laien einzusetzen. Das ist die Basis für die neue Pastoral.
Welche Rolle spielt dabei das Jahrzehnt der geistlichen Erneuerung, das von Kardinal Tomasek 1988 begonnen wurde.
Das Jahrzehnt war für eine ganz bestimmte gesellschaftliche Situation erdacht, diese hat sich geändert. Nach der gesellschaftlichen Wende haben sich zahlreiche neue Möglichkeiten ergeben, wie eben die Arbeit der Basis. So ist das "Jahrzehnt der geistlichen Erneuerung" erst einmal zu einem Angebot unter vielen anderen geworden. Doch es geht weiter und funktioniert weitestgehend. 1996 haben wir das Jahr des heiligen Cyrill und des heiligen Method mit der Konzentration auf Evangelisation und Gebet, ein dringendes aktuelles Thema. Interessant ist, daß sich die Vorbereitung auf das Jahr 2000 ganz organisch an das Jahrzehnt anschließt. Das abschließende Jahr - 1997 - ist konkret an Christus orientiert, wie auch das erste Jahr der Vorbereitung.
Neben der katholischen Kirche gibt es in Tschechien auch evangelische Kirchen. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit, gibt es Probleme.
Die Ökumene ist für uns sehr wichtig. Besonders aus der Geschichte heraus. Nach dem Ersten Weltkrieg lehnte die Mehrheit der Tschechen die Österreich-ungarische Monarchie und damit auch die katholische Kirche ab. Zwei belastende Stationen unserer Geschichte, die mit zu dieser Ablehnung führten, sind die Verbrennung von Jan Hus und die Rekatholisierung des Landes. Jetzt arbeiten zwei ökumenische Kommissionen, die in diesen Punkten nach der historischen Wahrheit suchen. Eine gemeinsame Sichtweise der Kirchen auf die Geschichte sehe ich wie auch beim Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen als Ausgangspunkt für eine echte Versöhnung an.
Ansonsten kann ich sagen, daß das ökumenische Verhältnis gut ist. Wir arbeiten in den verschiedensten Bereichen zusammen. So auch beim regionalen Kirchentag in Eger, der Christen verschiedenster Konfessionen aus Böhmen, Sachsen, Bayern und Thüringen verbindet. Gemeinsam gehen wir auf den Markt, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Interview: Holger Jakobi

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 39 des 46. Jahrgangs (im Jahr 1996).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.09.1996

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