Kunst heißt, Ordnung in das Chaos zu bringen
Angermuseum Erfurt
Mit einer Retrospektive im Angermuseum würdigt die Stadt Erfurt den Grafiker Siegfried Kraft. Vom 29. September bis zum 10. November zeigt die Ausstellung "k.s. kraft 1946/1996" Arbeiten des Erfurter Künstlers aus dem gebrauchsgrafischen Bereich und künstlerische Arbeiten im kirchlichen Raum. Dem zu DDR-Zeiten unbequemen Künstler wird damit eine späte Referenz erwiesen. Mit dem - in der längst überfälligen Ausstellung - gezeigten Querschnitt wird das Gesamtschaffen des auch weit über die Grenzen der ehemaligen DDR bekannten Grafikers, nur annähernd erfaßt..
"Die Arbeit eines Künstlers ist eine schöpferische Arbeit, und diese Feststellung weist auf die Schöpfung hin", stellt Siegfried Kraft am Ende eines riesigen Tisches in seinem Erfurter Atelier fest. Die Genesis sei ein Paradestück für die Gestaltungslehre, wie überhaupt für jegliche künstlerische und schöpferische Tätigkeit. Denn am Anfang war das Chaos, und Gott ordnete es, indem er Kontraste setzte, er machte Tag und Nacht, Land und Wasser, Berg und Tal. So komme es auch in der kreativen Tätigkeit darauf an, Ordnung zu machen, Ordnung auf der Fläche, Ordnung im Raum, Kontraste zu setzen und Proportionen zu schaffen.
In 50 Berufsjahren hat Siegfried Kraft das Chaos immer wieder bewältigt und so ein unübersehbares Werk hinterlassen. Sein Altbauhaus kann sein Lebenswerk beileibe nicht fassen. Siegfried Kraft entwarf Hunderte von Plakaten, Medaillen, Signets. Er schuf die Wappen der Erfurter Bischöfe Joseph Freusberg, Hugo Aufderbeck und Joachim Wanke. Für den Verlag Cordier in Heiligenstadt und den Benno-Verlag in Leipzig arbeitete er als Buchgestalter. Zuletzt entwarf er das Wappen des wiederbegründeten Bistums Erfurt.
Schon als Jugendlicher interessiert er sich für Grafik, und die Schriftgestaltung fasziniert ihn. Als Abiturarbeit im Fach Kunst schreibt und illustiert er das Nibelungenlied. Das Abendstudium an der Kunstgewerbeschule in Erfurt wird abgebrochen, weil der Jahrgang 1920 ein Jahr vor Kriegsbeginn zum Militärdienst einberufen wird.
Zurück aus russischer Kriegsgefangenschaft bleibt Kraft seiner Heimatstadt treu und geht nicht in die Westzonen. Das erste Plakat, das in Erfurt nach dem Krieg gedruckt wird, entwirft Kraft. Es ist ein Plakat für das Naturkundemuseum. Der sowjetische Kulturoffzier lehnt die Druckgenehmigung ab, da das Plakat die Farbkombination schwarz, weiß und rot enhält. Er färbt einen roten Tontopf auf Befehl blau und der sowjetische Major erteilt die Druckerlaubnis.
Sein Lehramt an der Landesschule für angewandte Kunst in Erfurt verliert er 1952, als er aus politischen Gründen entlassen wird. Es war die Zeit, als in Ostberlin die Stalinallee im Zuckerbäckerstil gebaut wurde und der Streit um Formalismus und Realismus seinen Höhepunkt erreichte. Der sogenannte Formalismus und Kosmopolitismus wurde als der Widerschein der allgemeinen Zersetzungserscheinungen, in die der Kapitalismus geraten sei, offiziell verdammt.
Die Errichtung von häßlichen, künstlerisch wertlosen Kastenbauten im amerikanischen Weltstil, die den wirtschaftlichen und politischen Zwecken der amerikanischen Imperialisten dienen sollten, seien ein Ausdruck des nahen Untergangs des Monokapitalismus, stellten offizielle Architekturzeitschriften 1952 verbindlich fest. Der Erfurter Kraft gehörte zu den Verfechtern des Bauhauses, deren klare Formensprache auch sein gesamtes künstlerisches Schaffen prägt.
In einer Grundsatzdiskussion mit Professor Liebknecht, dem damaligen Präsidenten der deutschen Bauakademie in Ostberlin, vertrat er seine Auffassung: kämpferisch, mit Witz und Eloquenz, so wie er es später noch viele Male tun sollte. Das war an einem Freitag des Jahres 1952, am darauf folgenden Montag war er aus politischen Gründen von seinem Lehrauftrag entbunden. Seit dieser Zeit arbeitet er als Freischaffender Grafiker, unter anderem auch als künstlerischer Leiter für den VEB Carl Zeiss Jena und für die Internationale Gartenausstellung (iga) in Erfurt.
Siegfried Kraft hatte für eine Familie mit sieben Kindern zu sorgen. Er schaffte es durch rastlose Arbeit, zumal er als einer der namhaften Grafiker der DDR galt. So mußte ihn selbst die offizielle Fachkritik 1967 zu den Grafikern zählen, "die das Natürliche auf eine zugleich sachgemäße wie phantasievolle Weise realisieren". Man bestätigte ihm "Vielseitigkeit", "eine schöpferische Persönlichkeit" und "sicheres Formgefühl". Kraft widmete sich gerne der Gestaltung von Marken und Signets, die heute neuhochdeutsch Logo heißen, wie er leicht amüsiert hinzufügt. Auf diesem Gebiet galt er als Experte in der DDR. Kraft ist 1969 der Autor des einzigen Fachbuchs über Schutzmarken.
Die akademische Ausbildung, die ihm der Krieg verwehrt hatte, holt er 1973 in einem externen Studium an der Berliner Kunsthochschule mit einem Diplom nach. Die offiziellen Kulturwächter der DDR kamen an dem eigenwilligen Künstler nicht mehr vorbei. 1966 erhält er auf der Weltausstellung für Grafik in Toronto die Bronzemedaille, 1968 den Kulturpreis der Stadt Erfurt, 1980 die Johannes-R.-Becher#Medaille in Gold und 1984 die Hans-Grundig-Medaille des Verbandes Bildender Künstler der DDR, in dem er seit 1961 wichtige ehrenamtliche Funktionen wahrnimmt.
1980 hält er Vorlesungen an der Shilpakala-Academy in Dhaka in Bangladesh. Man hätte damals von Berlin aus einen ausgewiesenen Grafiker gesucht, der dazu noch Englisch sprach, erzählt er mit einem leichten Schmunzeln. Er lehrt jedoch nicht nur, sondern lernt in Bangladesh auch neue Techniken, etwa das Verfahren der "Blindradierung".
Seine Arbeiten der Gebrauchsgrafik gelangten also durchaus in das Bewußtsein der Öffentlichkeit. Mit den künstlerischen Arbeiten für den kirchlichen Raum, die etwa die Hälfte seines Schaffens ausmachen, verhielt es sich zu DDR#Zeiten natürlich anders. Im öffentlichen Bewußtsein waren diese nicht existent. Kraft war und ist auf allen Gebieten christlicher Kunst tätig. Er gestaltete zahlreiche religiöse Bücher und illustrierte sie, entwarf Bleiglasfenster und Kruzifixe für Kirchen und Kapellen. So etwa die Glasfenster im Thomas# Morus#Haus und in der Kapelle des katholischen Waisenhauses in Heiligenstadt, die Fenster der Kapelle in Winterstein und in Stotternheim sowie die Fenster der Lorenzkirche in Erfurt. Weiterhin finden sich das Schnitzrelief, Sgraffitos und die innenarchitektonische Gestaltung für das Jugendhaus Sankt Sebastian in Hochheim.
Wie konnte man mit solchem Engagement als Grafiker im realexistierenden Sozialismus überleben? Kraft lächelt mit der Weisheit des Alters ob der Frage. Nach seinem Rausschmiß aus der Landesschule für angewandte Kunst sei er freischaffend gewesen und konnte sich seine Arbeit aussuchen. Im Grunde sei es ein Segen gewesen. Er habe deshalb niemals so weit gehen müssen, daß er heute nicht mehr zu seinen Arbeiten stehen könne.
Bei den vielen Dingen, die er für die Kirche gemacht hat, arbeitete er häufig mit erheblichem Risiko. Zum Beispiel datiert er eine Mappe mit christlichen Monatssprüchen im Impressum auf 1944, um so die gesetzlichen Vorschriften der Genehmigungsbehörde zu umgehen. Im Auftrag des Erfurter Bischofs Hugo Aufderbeck schuf er ein kleines "Hosentaschenkreuz" aus Bronze, so daß Christen, die in der NVA Dienst tun mußten, immer ein Kreuz mit sich führen konnten. Das kleine Kunstwerk überstand die hartnäckigsten Appelle.
Die Hausbuchreihe - mit Hans Donat gestaltet -, die Hefte mit Monatssprüchen für Karl Schollmeier, der Bildkalender für das "Christliche Jahr" und das Buch mit Konzilstexten für den Benno-Verlag sind den meisten katholischen Christen - und nicht nur diesen - noch in guter Erinnerung.
Die Künstler in der DDR hatten einen eigenen Status, da gab es durchaus Freiräume. Man mußte sie nur nutzen, so wie er es getan hat. Wir Kulturschaffenden und Künstler haben bereits 1988 auf unserem letzten Kongreß im Kulturpalast der DDR Kurt Hager ausgepfiffen, erzählt Kraft.
Zivilcourage hat er nicht nur während seines künstlerischen Schaffens bewiesen, sondern auch bei der Besetzung der Erfurter Stasizentrale, gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Man-fred Ruge, dem heutigen Oberbürgermeister der Stadt Erfurt. Kraft wird Mitglied des runden Tisches in Erfurt und Mitglied der ersten Stadtverordnetenversammlung von 1990.
Nach seinem Wunsch für die Zukunft befragt: Daß die Einheit gelingt und mehr Mittel für die Kultur zur Verfügung gestellt werden. So gab es im Verband der Künstler im Bezirk Erfurt vor der Wende 365 Künstler, die von ihrer Arbeit leben konnten. Von den Mitgliedern im Bundesverband Bildender Künstler ist republikweit nur ein Bruchteil in der Lage, den Lebensunterhalt mit künstlerischer Arbeit zu bestreiten.
Eine weitere Entwicklung stimmt den Altmeister traurig. Durch die kritiklose und geistlose Verwendung moderner Computer trete eine Verflachung in der Gestaltung ein. Mit dem Einsatz von Grafikprogrammen gehe das solide handwerkliche Können, dem sich Kraft zuerst und vor allem verpflichtet fühlt, zunehmend verloren. Um damit kreativ umgehen zu können, müsse man Gestaltung und Schrift gelernt haben. Und zwar von der Pieke auf. Nur so könne man den Duktus und die Form beherrschen. Siegfried Kraft kann beides.
Carsten Kießwetter
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.09.1996