Alt, aber nicht an den Rand gedrängt
Offene Seniorenarbeit in Sachsen-Anhalt
Zörbig (dw) - Um "Offene Altenarbeit in Sachsen-Anhalt" ging es bei der diesjährigen "Woche der Senioren" vom 22. bis 27. September, zu der wie in den Jahren zuvor die freien Wohlfahrtsverbände des Landes eingeladen haben. Das Caritas-Altenheim in Zörbig nutzte die Woche zu Begegnungen mit den Angehörigen der Bewohner, mit der katholischen Gemeinde und der Stadtbevölkerung.
Die Wände in Lydia Mühlnickels Zimmer zeigen persönliche Note: In geschmackvoller Kombination hängen dort Wandbehänge aus Perlen, ein Wachsbild, Trockengestecke und Tonarbeiten. Die Bewohnerin des Caritas-Altenpflegeheimes hat erst im Alter entdeckt, wie gerne sie bastelt. Sie war zunächst selbst ganz überrascht, was sie noch alles kann.
Wie viele andere ihrer 37 Mitbewohner hat sie früher in der Landwirtschaft gearbeitet. Die harte Arbeit erlaubte jahrzehntelang gar nicht, an ein Hobby zu denken. Unter Anleitung der Caritas-Mitarbeiterin Kathrin Markewitz haben sie und andere Senioren ihre Leidenschaft fürs Basteln geweckt.
Einige haben begonnen zu dichten, wieder andere üben sich im Seniorentanz. Wer Lust hat zur Hausarbeit, der darf beim Abwasch helfen oder einen Kuchen backen. Manche Frau hat im Altenpflegeheim schon ihre alten Backrezepte wieder hervorgeholt.
"Solange und soweit sie können, sollen die alten Menschen ihren Alltag selbständig gestalten", betont Kathrin Markewitz. Mit den geistig Verwirrten absolviert sie deshalb ein Trainingsprogramm, das ihnen helfen soll, sich im Alltag bestmöglich zurechtzufinden.
Bei einem "Familiensonntag" im Kirchgarten der katholischen St.-Antonius-Gemeinde waren zum Auftakt der Woche der Senioren viele Gäste angetan von der frohen, lebenslustigen Ausstrahlung vieler Heimbewohner. "Der Heimalltag scheint ja gar nicht so grau und öde zu sein, wie man ihn sich oft vorstellt", sagte mancher, und einige, die schon zum Mittagessen zu Hause sein wollten, blieben gleich bis zum Abend.
Pflegerinnen, Zivildienstleistende, ABM-Mitarbeiter und die rüstigen Senioren hatten den Tag zusammen vorbereitet. Nach dem Sonntagsgottesdienst führten die Heimbewohner Sitztänze auf. Gemeinsam mit den Festgästen sangen sie Lieder. In einer kleinen Ausstellung, die sie selbst zusammengestellt hatten, zeigten sie einige ihrer selbstgebastelten kleinen Kunstwerke.
Ein Tag der offenen Tür im Pflegeheim, ein Besuch im Tiergarten Dessau, der Besuch einer Seniorentanzgruppe aus Radegast, eine Dampferfahrt auf dem Muldestausee und ein Abendessen in einem chinesischen Restaurant waren weitere Höhepunkte der Seniorenwoche.
Alle Angebote richteten sich gleichermaßen an die Heimbewohner wie an alle interessierten Zörbiger. An den Veranstaltungen, die im Pflegeheim stattfanden, nahmen auch die Bettlägerigen regen Anteil.
"Diese Woche war wirklich etwas besonderes", freut sich Heimleiterin Elisabeth Kasten. Dabei seien die Caritas-Mitarbeiter auch sonst bemüht, die Heimbewohner am Leben der Stadt Zörbig Anteil nehmen zu lassen. Unter anderem würden kulturelle Angebote der Stadt genutzt und Veranstaltungen der katholischen und evangelischen Gemeinde besucht. Man unternehme Ausflüge und Urlaubsreisen. Die Zörbiger Kindergartenkinder seien das ganze Jahr hindurch gerngesehene Gäste im Caritas-Heim, zum Beispiel zu gemeinsamen Bastelstunden mit den Senioren.
So sorgenfrei, wie es auf den ersten Blick scheint, sind die Caritas-Mitarbeiter allerdings nicht. Sie warten schon seit einigen Jahren auf den endgültigen Startschuß für einen Altenheim-Neubau. Im Zuge von Gesetzesänderungen mußten die Baupläne schon mehrmals komplett auf den Kopf gestellt werden. Das alte Heimgebäude in der Radegaster Straße ist einst als Gaststätte gebaut worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte es bis 1975 die "Chronische Station" des Krankenhauses. Seither ist hier das einzige Altenpflegeheim in Zörbig, das 1993 von der Caritas übernommen wurde.
Die "Woche der Senioren" fand in diesem Jahr erstmals ohne große zentrale Veranstaltung statt. Da zu den "Landesseniorentagen" in den vergangenen Jahren vor allem Politiker, Heimleiter und Sozialarbeiter kamen, aber immer weniger Senioren, beschlossen die freien Wohlfahrtsverbände, sich mehr auf kleinere, regionale Veranstaltungen zu konzentrieren.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 06.10.1996