Mission ist keine Einbahnstraße
Vorgestellt: Schwester Magdalena
Viele Menschen sind seit der Wende aus dem Westen in den Osten gekommen. Schwester Magdalena Zehe ist eine von den Menschen, die hier im Osten bleiben wollen. Sie gehörte zu einer Gruppe von drei Missions-Benediktinerinnen aus Tutzing, die 1992 in Dresden eintrafen.
Sie gesteht, daß sie vor ihrer Reise in den Osten Deutschlands überhaupt keine Kontakte in die frühere DDR gehabt habe. "Ich hatte mich wenig damit beschäftigt, und ich habe mich einfach in die Begegnungen mit den Menschen in dieser Stadt reingeschmissen." Das Wesentliche bestehe darin, so Schwester Magdalena, einfach hier anzufangen, anzukommen, dazusein.
"Wir sind ganz bewußt hierher gekommen, ohne die Idee, ein eigenes Werk oder eine eigene Aufgabe zu übernehmen." Dieser Ansatz der Arbeit sei im Nachhinein richtig gewesen, weil er gute Kontaktaufnahme nach allen Seiten ermöglichte. "Wir waren eben nicht beschäftigt mit dem Aufbau irgendeiner Institution und sind deshalb so schnell mit den Menschen warm geworden..
Schwester Magdalena, die sich nach Abitur und Studium vor zehn Jahren entschied, in die Ordensgemeinschaft der Mis- sions-Benediktinerinnen einzutreten, betreute in Dresden zunächst geistig behinderte Jugendliche, ehe sie sich später für den Einsatz in der Katholischen Offenen Jugendarbeit (KOJA) entschied. Die anderen Schwestern der Gemeinschaft teilen ihre Kräfte für die Begleitung von Tumorpatienten auf dem Weg in das Sterben und die Betreuung von alten und einsamen Menschen in einer Kirchgemeinde der Stadt.
Schwester Magdalena hat bisher viele Menschen getroffen, die auf der Suche sind nach einem Halt, die Sehnsucht haben nach Orientierung, aber auch bereit sind, ihre eigenen Lebenserfahrungen weiterzugeben. "Ich habe eigentlich meinen eigenen Ansatz bestätigt bekommen, was Mission sein könnte: Nämlich nicht nur Einbahnstraße, wo nur ich etwas gebe und vielleicht anderen etwas überstülpe, sondern wo wir uns in einem Dialog beschenken können..
Heute leitet Schwester Magdalena in Dresden im Bereich der Katholischen Offenen Jugendarbeit ein "Haus für betreutes Wohnen". Im Haus in der Adlergasse leben derzeit sieben Jugendliche zwischen 13 und 18 Jahren. Darunter auch junge Mädchen und Mütter ab zwölf und vier Kinder im Alter zwischen vier Wochen bis eineinhalb Jahren. Die Mädchen werden aus Heimen oder anderen Einrichtungen der kommunalen Jugendhilfe zugewiesen; kommen auf Zuweisung aber auch direkt aus Familien oder von der Straße.
Schwester Magdalena sieht die vordringlichste Aufgabe darin, diesen Mädchen einen Raum zu schaffen, in dem sie Angenommensein, Geborgenheit, Zuwendung und Liebe erfahren. "Es ist klar, daß das keine leichte Arbeit ist, weil die Mädchen natürlich versuchen, die ihnen angetane Gewalt weiterzugeben." Die Benediktinerin weiß nach einem Jahr Wirken, wie wichtig es ist, für diese Mädchen einen positiven Erfahrungsraum zu schaffen. "Nur so wächst Vertrauen zu uns, und erst danach können andere Schritte, wie Schulbesuch, Ausbildung, Gespräche zu Partnerschaft und Sexualität, über Zukunft und eigenständiges Leben gegangen werden..
Für Schwester Magdalena war diese Arbeit auch ein Prozeß des Hineinwachsens in ein schwieriges Milieu. "Ich halte es für ganz wichtig, daß die Mädchen mich nicht nur als starke Frau erleben, die alles im Griff hat, sondern daß ich auch meine Schwächen habe, die ich bereit bin einzugestehen..
Für die schöne, aber kräfteraubende Arbeit besitzt die Gemeinschaft mit den Mitschwestern existenzielle Bedeutung. Eine Schwester trägt bewußt der anderen Last mit. "Und letztlich ist es unser gemeinsames Gebetsleben, das mir die Kraft gibt, daran zu glauben, daß auch der Lebensweg für diese Mädchen trotz anscheinender Ausweglosigkeit zu einem guten Ende führt. Vielleicht nicht zu solch einem Weg, den ich als gut bezeichnen würde: Aber daß sie überhaupt einen Weg finden. Diese Hoffnung hält mich aufrecht, immer wieder Kraft zu haben und fest zu glauben, daß es gut weitergeht."
Andreas Richter
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 20.10.1996